Axel Rohlfs

der wechselseitige austausch von visuellem werk und ästhetischer theorie geht weiter

wer von vorne beginnt mit lesen, wahrnehmen und hineindenken in das vorliegende sich im untertitel schlicht als „visuelle und konkrete poesie von axel rohlfs“ präsentierende werk, lässt sich auch von seiner schmiegsamkeit verführen. schmiegsamkeit, seitenweise humor und abwechslung erscheinen als absicht und kalkül. so wird der hineindenkende in das gegenwärtige opus magnum von axel rohlfs sozusagen mühelos gewonnen. dabei ist die breite seines stoffes durch teils ungewohnte stichworte reich gegliedert und erfordert wiederholt schmunzelnde hinnahme aufgefüllter hohlräume klassisch konkreter setzungen. rohlfs‘ werk ist ein neues lehrbuch, das die ästhetik neu ordnet. man kann mit gewinn auch am schluss beginnen. auf der letzten seite steht das sesam, öffne dich. jetzt wird wenn nicht alles, so doch vieles klar. das ganze werk dient der einführung der devianzästhetik und das geschieht in der übersicht ihrer fünf arten: „ars 1“ bis „ars 5“ versus „natura“. devianzästhetik, ästhetik der abweichung, wird in grafiken verständlich dargestellt, mit worten manchmal eher verschlüsselt behandelt. rohlfs kommt uns entgegen mit der disposition und aufteilung seines stoffes. es sind da zeichentransformationen, paradigma-paraden, es ist poetologisches und rhetorisches, und es sind anspielungen auf hommagen zu genießen. es darf soziologisches und linguistisches nicht fehlen. den umfangreichsten beitrag nimmt „zeichenumnutzung“ in anspruch. und der vollständigkeit halber und weil der ästhetik die funktion der werbung eigen ist, gibt rohlfs „so lange der vorrat reicht“ 54 konzepte dem super-art-market an die hand. ein vollständigeres ästhetik-lehrbuch gab es also nie. und keines, das mit mehr humor seine sache aufmischt.

© eugen gomringer

ARS 1 bis ARS 5 der Devianzästhetik


zu meinen doppelknotenbildern. / about my double-knot-pictures.

zu meinen doppelknotenbildern.

in den doppelknoten sowohl...

... der eine "endlosknoten"
als auch der andere "endlosknoten",
... eine breitenentwicklung
als auch die breitengegenentwicklung,
... "konstruktion"
als auch "dekonstruktion",
... ein ineinander
als auch ein einander,
... zusammenschluss
als auch nichtabschluss,
... teile/ registrieren
als auch ganzes/ idealisieren,
... "figur"/ "figuren"
als auch "grund"/ "gründe",
... "punkte"
als auch "linien",
... "linien"
als auch "flächen",
... "linear- zeitliches"
als auch "nichtlinear-räumliches",
..."nicht-zeichen" für "übung"
als auch "zeichen" für "repräsentation".


about my double-knot-pictures.

in the double-knots both...

... the one "endless-knot"
and the other "endless-knot",
... one development of breadth
and the anti-development of breadth,
... "construction"
and "deconstruction",
... an into-one-another
and an one-another,
... unification
and disunification,
... parts/ registration
and "the whole"/ idealisation,
... "figure"/ "figures"
and "ground"/ "grounds",
... "points"
and "lines",
... "lines"
and "planes",
... "linear- temporal objects"
and "non-linear-spatial objects",
..."non-sign" for "exercise"
and "sign" for "representation".

Architecte Peintre

Original (französisch)

Die Unter-Repräsentation konkreter Kunst in den Massenmedien

Thesenpapier zur Podiumsdiskussion im ikkp, Rehau am Sonntag, den 01.08.2010. (Axel Rohlfs).

These 1: Das Problem der Repräsentation.
Konkrete Kunst ist nicht- bzw. antirepräsentationell und hat daher in repräsentationellen Massenmedien immer einen schweren Stand. Repräsentierende, erzählende Kunstwerke aus Neo-Pop-Art und aus historistisch-ikonologischer Kunst vermögen leichter an Ankerpunkte/ Allgemeinplätze in den Rezipienten anzuschließen als konkrete Kunst, die nachvollziehend erschlossen werden muss.
Zudem wollen Kunsthistoriker ihre Texte als Werke entfalten, was leichter mit ´erzählenden´ Kunstwerken gelingt. Kunstmarkt und Medien sowie Museen bilden in immer stärkerem Ausmaß einen wirtschaftlichen Komplex: was sich nicht verkauft, wird ausgeschlossen, wobei Präsenz zu noch mehr Präsenz und zu noch höheren Preisen führt (analog zur Akkumulation des Kapitals). Alle drei Teilsysteme des Komplexes bestätigen einander wechselseitig sowohl in ihrer Produktion von Sichtbarkeit als auch von Unsichtbarkeit z.B. der konkreten Kunst in den letzten 30 Jahren.

These 2: Das Problem der Weitergabe über Generationen hinweg.
Junge Kunsthistoriker haben i.A. noch nie etwas über das Manifest der konkreten Kunst gehört. Hierin zeigt sich nicht nur allgemeiner Bildungsverfall sondern auch, dass der ´Staffelstab´ von den erfolgreichen Künstlern und Vermittlern aus der konkreten Kunst der 1960er und 1970er Jahre nicht weitergegeben wurde bzw. weitergegeben werden konnte. Heute gibt es kaum noch Professoren aus dem Bereich der konkreten Kunst an Hochschulen für Künste mehr. Es gibt zwar einen Bedarf an nicht-gegenständlicher Kunst, dieser wird aber mit eher retinal-kompositorischen Bildern oder minimal-art-Bildern befriedigt, wohl aufgrund mangelnder Kenntnis des schon Erreichten.

These 3: Das Problem des Fehlverständnisses des Begriffs ´konkrete Kunst´
Man darf natürlich al-Gusto-Kompositionen und minimal art machen, aber dieses nicht mit dem Begriff ´konkrete Kunst´ etikettieren, da das im Widerspruch zum Manifest von 1930 steht. Eine Aufweichung dieses Profils halte ich nicht für sinnvoll:
Ein Dogma wie dieses Manifest ist hilfreich für einen profilierten Auftritt und für produktive Antithesenbildung.
Willkür (mitunter bei Kompositionen) und pathetische Gesten (mitunter bei minimal art) reinstallieren das Konstrukt des ´Künstlergenies´ auf Kosten des Rezipienten.
Konstruktionen der konkreten Kunst dagegen rechtfertigen sich als intelligible Systeme und sind überindividuell.

These 4: Das Problem der Funktionsweise der Massenmedien
Massenmedien funktionieren über die Kategorien Polarisierung, Personalisierung und Emotionalisierung. Dazu hat die konkrete Kunst nichts beizusteuern, zumindest nicht unmittelbar. Konkrete Kunst ist also gewissermaßen ´emanzipatorisch´.

These 5: Das Problem des Medienwechsels vom analogen Bild zum digitalen Multimedium
Es gibt sehr viel Rezeption ungegenständlicher Bilder im Bereich der elektronischen Tanzmusik in Form von Visual Jockeying (VJing) über Projektionen; diese bewegten ungegenständlichen Bilder bleiben aber aufgrund fehlenden Vorwissens und einseitiger Orientierung an Sensation rein retinal, optical art.
Die konkrete Kunst hat den Medienwechsel nicht mitvollzogen.

These 6: Das Problem der Wissenschaftsfundierung
Empirismus und Rationalismus sind die beiden Pole europäischer Wissenschaftsgeschichte. Die konkrete Kunst hat sich zu sehr auf den Rationalismus und einen daraus erwachsenden Formenkanon gestützt; die Gruppe der Internationalen Gesellschaft für Empirische Aesthetik hat versucht, diesem gegenzusteuern. Wenn z.B. Vera Molnar als einer ihrer Vertreter in ein Ordnungssystem entlang einer Versuchsreihe 1% Unordnung, dann 2 % usw. injiziert, so ist das meiner Auffassung nach immer noch geistiger Versuch, also konkrete Kunst. Nur eben ein vernachlässigter Zweig derselben.

These 7: Fehlendes Marketing
Die Vorzüge konkreter Kunst müssten stärker ins Licht gerückt werden:
a) (relativ hohe) Unabhängigkeit von Zeitgeist, von lokaler Kultur, also von ´class´, ´race´ und ´gender´: (ein utopischer) Universalismus als Betonung des alle Menschen Einenden statt partikularistischem Kulturalismus/ Relativismus b) Mentale statt retinaler Bilder bzw. statt manipulativer Leit- und Feindbilder, die in abbildender Kunst leicht entstehen können; konkrete Kunst schafft Freiräume für den Rezipienten inmitten einer Welt der Reizüberflutung; c) als ´Geste´ inmitten des allgemeinen Kunstgeschehens ist konkrete Kunst sowohl Hinweis auf das Prinzip der Information als Nichtung überflüssiger Datenmengen (J. v. Neumann) als auch auf das Prinzip der Konstruktion (=Gestaltung von intelligiblen Systemen nach Kant, aus denen nichts entfernt und denen nichts hinzugefügt werden kann); auch hier ist wieder ein utopischer Charakterzug festzustellen: der Mensch ist der Welt nicht ausgeliefert sondern kann sie „nichten“ (Sartre) und „gestalten“ (Bill).
d) Konkrete Kunst bietet ein ästhetisches Surplus: die Wahnehmungs- und Abbildungskonvention des Alltags als Figur-Grund-Dichotomie wird in konkreter Kunst transzendiert hin zu Konstellationen, Fluktuationen, Interaktionen usw. bis zu chromatischer Malerei, wo Figur und Grund vollends ineinander aufgelöst sind und die alte Dichotomie von Figur-Grund bzw. Subjekt-Objekt aufgelöst ist (vgl. hierzu meinen Aufsatz im Katalog „Inventar“).

Zu meinen Doppel- (De-) Figurationen

diskontinuierliche Zeit des sehenden Abtastens einer Figur__als Anschwellen von fast linienartigem Ausgerichtetsein__bis zu fast flächiger Indifferenz__und zurück__und auch gleich“zeitig“ umgekehrt__in Form eines In-Einanders als In- und Einander__also Reziprozität hinwegschreibend über einzelne Gestalten__hinüber hin zum über__das ohne ein Gegenüber nicht denkbar ist__also Kontrapunkt mit Krebsgang__Umkehrung__Verbreiterung__also Abschattungen also Serie also Proportionalisierungen__also Bi-Metamorphose in einem verseriellten Bi-Wesen__fließgleichgewichtiger Zusammen- ohne Abschluss__auch nicht ganz Index, nicht ganz Ikon, nicht ganz Symbol__ nicht ganz Schrift, nicht ganz Bild, nicht ganz Musik o.ä.__vor allem: nicht ganz die eine, nicht ganz die andere Figur__wirklich: nicht ganz da!__nur Spuren, die uns mit unserer sichtenden Werdung allein lassen: in Abwesenheit, die Anschauungsform für Matrix ist__die Spur, die die Achse zwischen nunmehr „sichtbar“ tätiger, ergänzender Gestaltwahrnehmung und nunmehr sichtbar „tätiger“ Idee als ein Verhältnis markiert.

Knoten Konkret

Schon frühere Arbeiten Axel Rohlfs zeichneten sich durch in ihnen vorhandene Dualitäten aus: Zyklen und Antizyklen; Gleichzeitiges An- und Abschwellen von Bewegung und Gegenbewegung; hohe Dynamik der beiden Entwicklungen bei gleichzeitigem sich gegenseitig Verschatten.

Die nun vorliegende Serie zeigt neue Ansätze des Künstlers. Vor allem auf diese richtet sich hier das Augenmerk.

Künstlerische Vorgaben:
Durch allgemeine Vorgaben zu dieser Serie legt der Künstler das spätere Erscheinungsbild des einzelnen Werkes bereits soweit fest, dass ihm im eigentlichen Entstehungsprozess fast keine weiteren eigenen Gestaltungsmöglichkeiten bleiben.

Der Vorrat an geometrischen Grundformen wird erweitert: Das gleichseitige Dreieck und mit dem Kreis sogar ein nicht geradliniges Element treten neben die von früheren Serien in Horizontal-Vertikal-Netzen bekannten Rechtecke. In der Mathematik sind Rechteck, Dreieck und Kreis topologisch - und damit auch im Hinblick auf Knotenbildungen - „äquivalent“. Die Erweiterung des Formenvorrates auf drei Formen war daher vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht notwendig: Der Künstler wählte also die drei Formen unter künstlerischen Gesichtspunkten aus.

Eine Kurve heißt doppelpunktfrei, wenn beim Durchlaufen jeder Kurvenpunkt nur einmal vorkommt und somit z.B. die Kreuzung zweier Linien nicht aus einem einzigen Punkt besteht sondern aus zwei auf verschiedenen Linienabschnitten übereinanderliegen Punkten. In der Mathematik ist ein Knoten eine doppelpunktfreie geschlossene Kurve im dreidimensionalen Raum. Dabei gelten zwei Knoten als gleich, wenn sie durch eine stetige Verformung (hier bei einem unelastischen Faden nur durch Verbiegen) ineinander überführt werden können. Bildet man einen Knoten auf eine Ebene ab, so entsteht eine geschlossene Kurve, die endlich viele Überkreuzungen hat. Dabei spielt es eine Rolle, welches Kurvenstück oben bzw. unten liegt.

Eine Linie (ein Faden) hat mindestens einen Knoten , wenn sie - ohne sie zu zerschneiden – in einer Ebene nicht in eine kreuzungsfreie Linie überführt werden kann. Der Künstler fand durch eigenen Recherchen genau sieben verschiedene Knotentypen und gab ihnen jeweils Namen. Rohlfs nimmt seine Knotensammlung als abstrakte Vorgabe für seine Serie und schafft sich so eine erste notwendige mathematische Grundvoraussetzung, die das Entstehen von Konkreter Kunst erst ermöglicht, indem sie subjektive künstlerische Entscheidungen während des weiteren Malprozesses ausschließt.

Axel Rohlfs begnügt sich nicht mit der künstlerischen Ausgestaltung je eines Beispiels für jeden Knotentyp. Er schlägt Knoten des gleichen Typs mehrfach in eine Knotenlinie. Die Anzahl der Knoten in einer Knotenlinie überlässt er dabei nicht seinem persönlichen Empfinden: Er schlägt jeden Knoten 1,2,3 bis 4 – mal in eine Knotenlinie. Jede Knotenlinie tritt zweifach - einmal weiß und einmal schwarz – auf. Der Künstler verschränkt jedes dieser Linienpaare zu einer eigenständigen Figur und stellt dann alle vier zueinander gehörenden Figuren in einem gemeinsamen Bild dar.

Eine Besonderheit, die der Künstler schon bei früheren Gelegenheiten in sein Werk einbrachte, findet sich auch in dieser neuen Serie: Die auftretenden Linienteile unterscheiden sich in Länge und Breite. Diese Abmessungen legt der Künstler nicht von Fall zu Fall nach seinen subjektiven eigenen Erwägungen fest; sie werden bestimmt durch die Zahlen dreier vom Künstler ausgewählter Zahlenfolgen:
1 die Folge der natürlichen Zahlen 1,2,3,4,5,…,
2 eine – vom Künstler „Intervallschachtelung“ genannte – Variation der ersten acht natürlichen Zahlen 1 8 2 7 3 6 4 5 5 4 6 3 7 2 8 1
2 eine Zufallszahlenfolge .

Die stark variierenden Längen und Breiten der Kurvenstücke rufen Effekte hervor, wie sie von Aurélie Nemours‘ „rythme du millimêtre“- Serie überliefert sind: Ein Wegestück kann als Fläche oder als Linie wirken.

Wie schon in seinen früheren Serien fällt auch hier ein ausgeprägter Hang zur optischen Strukturierung der Bilder auf, der sich allerdings hier anders als in früheren Serien äußert, in denen die formale Achsen- oder Punktsymmetrie wesentlich Gestaltungsmerkmale bereitstellte. Diesmal arbeitet Rohlfs mit sozusagen „genormten“ Winkeln: Die mit Schach- ,Wellen- ,Netz- , Helix- und Progressionsreihungsknoten gestalteten Figuren werden parallel zu den Hauptdiagonalen des Quadrates (um 45° mit und gegen den Uhrzeigersinn) angeordnet. Bei Dreiecksknoten richtet sich in jedem Dreieck der entstandenen Figur eine Dreiecksseite senkrecht auf.

Bei der Farbwahl beschränkt Axel Rohlfs sich auf das Minimum: Um die jeweils zwei Knotenlinien einer Figur voneinander und vom Untergrund abzugrenzen, braucht er drei Farben. Er wählt die drei „Nichtfarben“ Weiß, Grau, Schwarz. Jede dieser drei Farben sieht er als eigenständige Farben – er betrachtet nicht wie z.B. Uwe Kubiak Schwarz als die Negation von Weiß und umgekehrt. Dadurch bleibt Weiß auf Weiß als Weiß erhalten und Schwarz auf Schwarz als Schwarz. Dort, wo sich weiße und schwarze Linie kreuzen bzw. überlagern, ersetzt Grau die beiden Grundfarben. Die Wahl von Grau als dritter Farbe hat weitreichende Folgen für die Werke:
- Sowohl die weißen als auch die schwarzen Knotenlinien lassen sich gedanklich leicht durch die graue Fläche hindurch fortsetzen; die graue Farbe unterstützt den Zusammenhalt der einzelnen (im mathematischen Sinne „geschlossenen“ ) Knotenlinie. So entsteht, obwohl keine einzige Linie ungestört bleibt, dennoch der Eindruck durchgehend zusammenhängender Linien.
- Das Grau ist zugleich die Farbe des Bilduntergrundes. So erlaubt sie den einzelnen Figuren, sich jeweils als Ganzes vor grauem Hintergrund zu präsentieren.
- Einzig bei der Platzierung der jeweils vier Figuren in einem Bild erlaubt sich der Künstler künstlerische Variationen. Zwar läuft die Figurenfolge immer (von links nach rechts) in der gleichen Aneinanderreihung 1,2,3,4 ab und die Positionierung alterniert stets in der gleichen Weise (Figur 1–tief, 2 – hoch, 3 – tief, 4 – hoch). Doch bei der endgültigen Platzierung ändern sich sowohl die genauen Höhen (z.B. der Figurenmittelpunkte) als auch die Abstände zwischen den jeweils vier Figuren von Bild zu Bild – ein Ansatz von Referenz des Künstlers vor einer ihm von Fall zu Fall, von Bild zu Bild harmonisch erscheinenden Bildaufteilung?

Auffallend ist bei Axel Rohlfs neuerlicher Arbeit wiederum die Sparsamkeit der Mittel, die streng minimalistische Vorgehensweise : Wieder zieht Axel Rohlfs sich zur Visualisierung seiner künstlerisch-philosophischen Ansätze auf ein Mindestmaß an Farben, Winkeln, Formen und Zahlen zurück:
- Auf die Farben Weiß, Grau und Schwarz,
- auf die Waagerechte, Senkrechte und die zwei Winkelhalbierenden des Quadrates,
- auf die Anfänge altbekannter Zahlenfolgen.

Trotz des Einsatzes ausschließlich allgemein bekannter, elementarer und in hohem Maße objektiv einsetzbarer Elemente – objektiv, weil allgemein bekannt und genutzt und nicht aus subjektiver Vorliebe des Künstlers auserwählt – gelingen dem Künstler interessante neuartige konkrete Kunstwerke: Jedes Bild ist wie bei den Klassikern der Konkreten Kunst bereits vor dem ersten „Pinselstrich“ (abgesehen von den mit Zufallszahlen entstandenen Bildern und der begrenzten Freiheit beim Platzieren der Figuren) bis in alle Details - auch für den Betrachter nachvollziehbar - durchdacht und liegt bereits vorab in allen Einzelheiten fest – „Konkrete Kunstwerke“.

Die neue Serie von Axel Rohlfs prägen wichtige Besonderheiten:
- Es gibt für die beiden Knotenlinien kein vorn oder hinten: Der Künstler verhindert durch die Wahl der neutralen Farbe Grau im Kreuzungsbereich beider Linien das Festlegen einer oben und einer unten liegenden Linie. Für den Betrachter entsteht zugleich eine Ambivalenz: Er kann sich jede der beiden Linien als über der anderen verlaufend vorstellen.
- Darüber hinaus beobachtet der Betrachter eine von Kippbildern aus der Katastrophentheorie her bekannte Erscheinung: Fixiert er sich auf eine der beiden Linien, so wird er dieser geradezu autosuggestiv folgen, ohne sich von der zweiten ablenken zu lassen. Rohlfs‘ Knotenbilder überlassen dem Betrachter damit große Freiheitsgrade hinsichtlich des Erfassens und der Identifikation der jeweiligen Figur.
- Obwohl die „Doppellinien-Knotenbilder“ zwei real dargestellte Linien in einer grauen Fläche zeigen, gibt es keinen eindeutig identifizierbaren Hintergrund . Das in die Knotenbilder hineingewobene Grau verhindert die klare optische Trennung von der gleichfarbigen Umgebung und damit auch das Festlegen eines Hintergrundes durch den Betrachter, obwohl er ihn im Unterbewusstsein wahrnimmt.

Neben der Schöpfung neuer, sich quasi selbst produzierender konkreter Bilder zeichnet sich Rohlfs neue Arbeit besonders durch diese wahrnehmungspsychologisch – philosophischen Aspekte aus und hebt sie von vielen „nur“ konstruktiven Kunstwerken wesentlich ab.

Zu meinen Doppelfigurbildern

„Was irgend am Artefakt die Einheit seines Sinnes heißen mag, ist nicht statisch sondern prozessual, Austrag der Antagonismen, die ein jegliches Werk notwendig in sich hat. Analyse reicht darum erst dann ans Kunstwerk heran, wenn sie die Beziehung seiner Momente aufeinander prozessual begreift, nicht durch Zerlegung es auf vermeintliche Urelemente reduziert. Dass Kunstwerke kein Sein, sondern ein Werden seien, ist technologisch fassbar. (…) Kunstwerke synthesieren unvereinbare, unidentische, aneinander sich reibende Momente; sie wahrhaft suchen die Identität des Identischen und des Nichtidentischen prozessual, weil noch ihre Einheit Moment ist, und nicht die Zauberformel fürs Ganze.“
(T.W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main 1973, S. 262f.)

Ein „Antagonismus“ in den Doppelfigurbildern ist zum einen der des Graus des Grundes um die Doppelfigur zum „gleichen“ Grau in der Doppelfigur (als Überlagerungsfarbe von schwarz und weiß); dann der „Antagonismus“ der zwei Teilverläufe der Doppelfigur zueinander, die einander wechselseitig formen bzw. enthalten, die einander Figur bzw. Grund sind. D.h. diese Antagonismen bedeuten eine Reziprozität, bei der das Eine immer auch das Andere –hier recht anschaulich durch das Grau bzw. das Einanderformen vorgeführt- enthält. „Visuelle Identität“ im Sinne Raimer Jochims´ ist nicht völlig angestrebt (das wäre eine Auflösung von Figur-Grund-Antagonismus in Chromatischer Malerei), aber doch partiell im Grau der Binnen-Überlagerungsflächen vorgeführt. Der Figur-Grund-Antagonismus ist gedoppelt vorhanden: Teilverlauf zu Teilverlauf und Gesamtgebilde aus zwei Teilverläufen zum grauen Grund. Dadurch, dass weiße an schwarzen Flächen anlagern, entsteht auch der Eindruck einer Reliefhaftigkeit (s.O.): Pseudolicht- und Pseudoschattenkanten erscheinen, um gleich wieder in eine andere Wahrnehmungsform, z.B. die des geschlossenen Mäanders, überzuwechseln. Es kommt in der Wahrnehmung -nicht nur hierdurch- zu einer Fluktuation, einer Unfestigkeit.
In der Doppelfigur wird die Länge des einen Abschnitts eines Teilverlaufs durch die Breite des jeweils anderen, kreuzenden Abschnitts des anderen Teilverlaufs bestimmt. Man kann auch von ´Simultaneität´ zweier Teilverläufe sowie von ´Konvergenz´ von Figur und Grund sprechen, von ´Dialektik´ und ´Andersheit´ im Sinne Adornos. Die grauen Flächen der „Überlagerungen“ des weißen und des schwarzen Teilverlaufs innerhalb der Doppelfigur mögen dabei fast wie eine Auslöschung beider dialektischen Teilbewegungen erscheinen, das Gesamte als etwas, das partiell seine Absenz mitenthält: das Gleichwerden mit dem grauen Grund.
Nicht von Ungefähr kommt die Analogie von eigentlich auf Ästhetik (Wahrnehmung) bezogenen Kunstgebilden wie diesen hier mit morphogenetischen Prozessen: ´was´ (= Interaktion von Form) und ´wie´ (= Fluktuation/ Ambiguität) der Wahrnehmung werden eins, Lebenswelt und Kunstwelt auf allgemeinster Ideen-Ebene parallel geführt.

Zu meinen Doppelknotenbildern

Die Reihe der 21 Knotenbilder ergibt sich aus sieben unterschiedlichen Knotentypen (siehe Übersicht über die Knotentypen in Form von Schemata) und drei in diesen ´zur Anwendung´ kommenden Zahlenreihen. Diese Zahlenreihen sind stark konträr:
- die Reihe der Natürlichen Zahlen lässt die Breite des Knotenverlaufs proportional anwachsen, um sie nach einem Maximum - ebenso proportional- wieder auf den Ursprung (1) zurückzuführen, so dass es einen Zirkelschluss gibt;
- die Reihe der Intervallschachtelung, d.h. vom Minimum zum Maximum zum zweitkleinsten Minimum zum zweitgrößten Maximum usw. (1, 8, 2, 7…), weist ein Einpendeln auf einen mittleren Wert auf, also ein ´Intervallschachteln´ zur Mitte hin, wo die „Ausschläge des Pendelns“ immer kleiner werden; auch hier wird nach Erreichen dieser Mitte wieder der Weg zurück angetreten (…7, 2, 8, 1);
- die letzte Reihe hat gar keinen geregelten Verlauf, sondern einen des Zufalls/ Random.

Bei diesen (7 Knotentypen mal 3 Zahlenreihen =) 21 Knotenbildern können drei ineinander gehende Hauptmerkmalsfelder ausgemacht werden:

1) Partielle „visuelle Identität“ im Sinne Raimer Jochims:
„Der anfangs besprochenen metanoetischen Bewusstseinsstruktur, der Teilung der Realität in Subjekt und Objekt, die überwunden werden muss, entspricht in der Malerei die Teilung der Realität in Figur und Grund. Schon Cézanne hat eine intensive Durchdringung von Figur und Grund erreicht. Hier bei Mondrian wird der Grund selbst thematisiert und im weißen Mittelfeld dynamisch formuliert. Freilich immer noch als Grund, zu dem sich die gelben Linien immer noch in einem sehr reduzierten Sinn als Figur verhalten. Auch darin zeigt sich Mondrians´ Stellung genau auf der Grenze zwischen der alten Konzeption der Identifikation und der neuen der Identität. “ (Raimer Jochims: Visuelle Identität. Frankfurt 1975, S. 50).

Figur und Grund (und auch die schnell entstehenden Illusionen von „Lichtkanten“ in weiß und „Schattenkanten“ in schwarz im Doppelknoten) werden in Richtung einer visuellen Identität von Figur – Grund hin verwischt: das Grau der Überlagerung von weißem und schwarzem Teilknoten des Doppelknotens ist das Grau des Grundes, die Doppelknoten ´versinken´ gleichsam im Grund die wechselseitige Formung und Abhängigkeit der zwei Knotenformen in weiß und schwarz lässt sie einander wechselseitig Figur bzw. Grund sein.

2) eine Reliefhaftigkeit im Hildebrandschen Sinne:
Haptische Bewegungsvorstellungen des Sehabtastvorgangs an den Knotenverläufen werden geeinigt zu der optischen ´Tiefenvorstellung´ des Graus hin, das sowohl Grund der Doppelknotenfigur als auch Überlagerungsfarbton der beiden Einzelknoten in schwarz und weiß ist; es kommt zu einer Fluktuation der Wahrnehmung zwischen der Haptik des Sehabtastens und reiner Optik des Tiefenschauens und auch umgekehrt. Das Erkennen schwankt zwischen ´Relieftiefe´ im Sinne Adolph von Hildebrands und bewegter Doppelfigur auf grauem Grund. Die Gestalt ist somit der Wahrnehmung unfest und offen.

Die Doppelknotenbilder sind gegenüber den mehr linear ausgerichteten Interaktionen zweier Mäander oder Zickzacklinien meiner anderen Werke rein flächige ´Poly-phonien´ zweier gegenläufiger ´Stimmen´, zweier Knotenverläufe. Das flechtartig Gleichförmige des Innenfelds eines Doppelknotens mag mitunter nicht sofortigen Aufschluss über die Konstruktionsweise des Knotens liefern; daher kommt dem Rand die Rolle des eigentlichen Informationsträgers zu. Es kommt zu einem Gegensatz zwischen bedeutungsvollem Rand und oft geradezu homogen erscheinendem Inneren. Durch die drei Zahlenreihen werden die grauen Überlagerungsflächen der beiden Knotenverläufe größer oder kleiner, mitunter scheint die Figur des Doppelknotens daher ausgedünnt, fast ´durchsichtig´ zu sein.

3) Wie in allen meinen Arbeiten ist die Form ´osmotisch´ offen:
die Breite des einen Abschnitts des einen Knotens bestimmt die Länge des gekreuzten Abschnitts des anderen zweiten Knotens -und auch umgekehrt. Form/ Figur wird also auch hier im Doppelknoten verdoppelt und daher simultan mit einem Pendant und fast visuell identisch (s.O.): die eine Teilfigur ist Grund der anderen und umgekehrt. Der Grund um den gesamten Doppelknoten herum ist wiederum das Grau seiner internen Überlagerungsflächen. Es handelt sich also um eine doppelte Entkräftung des Figur-Grund-Kontrastes:
vom Doppelknoten zum grauen Grund um ihn herum und innerhalb des Doppel-knotens selber. Daher könnte durch Betrachten dieser Doppelknotenbilder herkömmliche Gestaltwahrnehmung aufgeweitet werden, zumindest wird eine Versinnbildlichung dieser anderen Wahrnehmung angeboten.
Die Wahrnehmung der Doppelknotenbilder ist nicht konstant: das Auge fügt die schwarzen Einzelfelder zum schwarzen Mäander zusammen, jedoch verliert das Auge aufgrund der Komplexität des Mäanders häufig den Anschluss und wechselt über in die Spur des weißen Mäanders und umgekehrt. Die Gestaltwahrnehmung ist mit den Mäandergebilden z.T. überfordert und kann den Zirkelschluss nicht immer vollbringen. Auch fluktuiert die Wahrnehmung nicht nur zwischen Einzelfeldern und zugehörigem Mäander sowie zwischen weißem und schwarzem Mäander sondern auch zwischen Figur und Grund des gesamten Doppelknotens, da der graue Grund in die Figur integriert ist. Die Spannung zwischen den Antagonismen ist auf einen Höhepunkt hin gesteigert. Eine Dialektik entfaltet sich prozesshaft.
T.W. Adorno schreibt zur Prozesshaftigkeit des Kunstwerkes:
„Was irgend am Artefakt die Einheit seines Sinnes heißen mag, ist nicht statisch sondern prozessual, Austrag der Antagonismen, die ein jegliches Werk notwendig in sich hat. Analyse reicht darum erst dann ans Kunstwerk heran, wenn sie die Beziehung seiner Momente aufeinander prozessual begreift, nicht durch Zerlegung es auf vermeintliche Urelemente reduziert. Dass Kunstwerke kein Sein, sondern ein Werden seien, ist technologisch fassbar. (…) Kunstwerke synthesieren unvereinbare, unidentische, aneinander sich reibende Momente; sie wahrhaft suchen die Identität des Identischen und des Nichtidentischen prozessual, weil noch ihre Einheit Moment ist, und nicht die Zauberformel fürs Ganze.“ (T.W. Adorno: Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main 1973, S. 262f.)

„Prozess ist das Kunstwerk wesentlich im Verhältnis von Ganzem und Teilen. Weder auf das eine noch auf das andere Moment abzuziehen, ist dies Verhältnis seinerseits ein Werden. Was irgend am Kunstwerk Totalität heißen darf, ist nicht das all seine Teile integrierende Gefüge. Es bleibt auch in seiner Objektivation ein vermöge der in ihm wirksamen Tendenzen erst sich Herstellendes. Umgekehrt sind die Teile nicht, als was sie durch Analyse fast unvermeidlich verkannt werden, Gegebenheiten: eher Kraftzentren, die zum Ganzen treiben, freilich, aus Not, von jenem auch präformiert sind. Der Strudel dieser Dialektik verschlingt schließlich den Begriff des Sinnes.“ (ebd., S. 266)

„Einheit wird nicht zuletzt davon motiviert, dass die Einzelmomente durch ihre Richtungstendenz ihr entfliehen.“ (ebd., S.287).

Ein „Antagonismus“ in den Knotenbildern ist zum einen der des Graus des Grundes des Doppelknotens, das sich aber im Doppelknoten selbst wieder findet, zu letzterem; zum anderen der des Binnenverhältnisses der zwei Teilknoten des Doppelknotens zueinander, die einander wechselseitig formen/ enthalten, die einander Figur bzw. Grund sind. D.h. die Antagonismen bedeuten eine Reziprozität, bei der das Eine immer auch das Andere –hier recht anschaulich durch das Grau bzw. das Einanderformen vorgeführt- enthält. Visuelle Identität im Sinne Jochims´ ist nicht völlig angestrebt (das wäre eine Auflösung von Figur-Grund-Antagonismus in Chromatischer Malerei), aber doch partiell im Grau der Binnen-Überlagerungsflächen vorgeführt. D.h. der Figur-Grund-Antagonismus ist so überhaupt erst sichtbar gemacht, was er ohne den zeitweise eintretenden Eindruck des ´Versinkens´ des Doppelknotens in den Grau-Grund nicht wäre. Zudem ist der Figur-Grund-Antagonismus gedoppelt vorhanden: Teilknoten zu Teilknoten und Gesamtknoten zu Grau-Grund. Dadurch, dass weiße an schwarzen Flächen anlagern, entsteht auch der Eindruck einer Reliefhaftigkeit (s.O.): Pseudolicht- und Pseudoschattenkanten erscheinen, um gleich wieder in eine andere Wahrnehmungsform, z.B. die des geschlossenen Mäanders, überzuwechseln. Da die Teilknoten einander wechsel-seitig „enthalten“, also Figur und Grund innerhalb des Doppelknotens wechselseitig austauschbar sind, kann man auch hier von „Partieller Visueller Identität“ sprechen, ohne dass jedoch das Prinzip Figur-Grund aufgehoben ist in Chromatischer Malerei. Partielle Visuelle Identität in den hier vorgestellten Doppelknotenbildern dient also der Zuspitzung der Antagonismen im Sinne Adornos.

Peter Weibel arbeitete eine Reihe von Prinzipien einer „Ästhetik der Absenz“ heraus, die auch in der Werkgruppe der 21 Knotenbilder z.T. zu finden sind: „Der überhitzte, semiotisch beschleunigte virtuelle (Leer)Raum der telematischen Zivilisation erzeugt neue Wahrnehmungsformen der Techno-Zeit, auf denen die Prinzipien einer Ästhetik der Absenz fußen: Simulation, Simultaneität, Similiarität, Selbstsimiliarität, Selbstorganisation, Systemdynamik, Dekonstruktion, Swarm, Scrawl, Double, Syntopsie, Synchronie, Synthese, Polytropie, Polychronie, Konstruktion, Kontext-Steuerung, Beobachterzentriertheit (Endophysik), Komplexität, Molekulardimensionalität (Nanotechnologie), Telepräsenz, Virtualität, Variabilität, Viabilität.“
(Weibel: Ära der Absenz. In: Ulrike Lehmann/ Peter Weibel: Ästhetik der Absenz. Bilder zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. München/ Berlin 1994, S.18).

Im vorliegenden Werk kann man folgende dieser Prinzipien auffinden:
-„Simultaneität“ zweier Teilknoten ineinander sowie Figur und Grund ineinander
-„Similiarität“ : immer dasselbe Konstruktionsprinzip sowie zwei ähnliche Teilknoten
-„Selbstsimiliarität“: kleine Windungen in großen Windungen
-„Selbstorganisation“: durch den Systemcharakter hat der Autor keinen subjektiven Einfluss auf das Endprodukt, die Idee kopiert sich in sich weiter
-„Systemdynamik“: „Fließgleichgewicht“ zweier Teilknoten
-„Double“: der eine Teilknoten als „Double“ des anderen
-„Synchronie“: wollte man einem Mäanderfluss einen Zeitstrom (des Sich-Auswach-sens bzw. des Betrachtens, was nahezu Dasselbe ist) zuweisen, so wären in einem Doppelknoten zwei Zeitströme synchronisiert
-„Konstruktion“: alles hat Systemcharakter im Sinne des Manifests konkreter Kunst von 1930: nichts kann hinzugefügt oder fortgenommen werden
-„Komplexität“: die Komplexität ergibt sich aus konstruierter Simultaneität
-„Variabilität“: zum Ausdruck gebracht im seriellen Prinzip der jeweils vier -größer werdenden- Doppelknoten.

Die Reihe der hier vorgestellten Doppelknotenbilder stellt also nicht einfach neue Gestalten der Gestaltwahrnehmung zur Verfügung, sondern in sich gedoppelte, zur Absenz tendierende.

Ziel war Geometrie als offenes System im Sinne der Systemtheorie zu entwickeln und vorzutragen, ohne auf die Kantsche Systemdefinition (´nichts hinzufügbar, nichts fortnehmbar´) zu verzichten. Die Geschlossenheit vieler der Werke der minimal art in sich bedurfte einer Kontextualisierung mit Landschaft oder Ausstellungsraum, um nicht monolithisch und hermetisch zu wirken, als reine Setzung und Geste. Hier nun bei den Doppel-knotenbildern ist das Werk in sich selbst offen, interaktiv und doch systematisch:

Im Doppelknoten wir die Länge des einen Teilabschnitts durch die Breite des je anderen Teilabschnitts des anderen Teilknotens bestimmt. Man kann auch von ´Selbstorganisation´ sprechen, von ´Fließgleichgewicht´ im veranschaulichten Sinne, auch von ´Selbstähnlichkeit´ der sich durch Prinzip der Wiederholung auswachsenden Viererserien, von ´Dialektik´ und ´Andersheit´ im Sinne Adornos sogar. Die grauen Flächen der „Überlagerungen“ von weißen und schwarzen Teilknoten mögen dabei fast wie eine durch Ausgleich entstehende Auslöschung beider dialektischen Knotenbewegungen erscheinen, das Gesamte als etwas, das partiell seine Absenz mitenthält: das Gleichwerden mit dem grauen Grund. Nicht von Ungefähr kommt die Analogie von eigentlich auf Ästhetik (Wahrnehmung) bezogenen Gebilden mit morphogenetischen Prozessen: ´was´ und ´wie´ der Wahrnehmung werden eins, Lebenswelt und Kunstwelt auf allgemeinster Ideen-Ebene parallel geführt.

Evidenz

An den Blättern Axel Rohlfs zum Thema des Mäanders lassen sich einige Beobachtungen anstellen, die auszuführen hier verlockend erscheint. Die Drucke vor sich auf den Tisch legend, macht man zunächst eine erste Inspektion, man verfolgt die schwarz-weissen Konstellationen in ihren sich abwandelnden Wiederholungen und lässt den Klang des Weiss-Schwarz-Grau auf sich einwirken. Das alles bleibt recht allgemein, wenig bestimmt und gehört mehr in den Bereich der Anmutung. Dennoch sagen wir in solchen Fällen, etwa nach einer Ausstellungsvernissage, dass wir die Blätter ”gesehen” haben.
Aber was haben wir bei einer solchen Betrachtungsweise “eigentlich” gesehen”? In einer Art Selbstversuch bin ich dieser Frage nachgegangen. Dabei wollte ich alles Vorwissen soweit als möglich ausklammern und mich nur auf das verlassen, was mir meine Augen zuführen, in der Haltung wie man etwa sagt, dass einem etwas “auffällt” oder “ins Auge sticht”.
Im Falle dieser Arbeiten von Rohlfs sind es zuerst einmal kleinteilige Binnenbeziehungen innerhalb der einzelnen Konstellationen: gerade Linien, welche, die bausteinhafte Gliederung überspringend, einen grösseren Zusammenhang herzustellen scheinen, des weiteren relativ kompakte Blöcke aus schwarzen oder weissen Elementen und schliesslich gibt sich die Schwebung, die durch den Einbezug des grauen Grunds entsteht, sehr attraktiv für das Auge. Gleichzeitig mit diesen ersten unmittelbaren, unreflektierten Daten kann aber auch die Tatsache nicht unbeachtet bleiben, dass auf jedem Blatt immer vier verschieden grosse Konstellationen vorkommen. Im Unterschied zu den erstgenannten Eindrücken, deren Erklärung eher zur Gstaltpsychologie gehört, fordert diese letztere Beobachtung eine bewusste Analyse, ein waches, benennendes und schlussfolgerndes Bewusstsein. Damit ist die zu Beginn gestellte Frage beantwortet.
Um abzuklären, ob eine konstruktive Gesetzmässigkeit vorliegt, kann man nun entweder auf die beigefügten schematischen Erklärungen Axel Rohls zurückgreifen und diese Blatt für Blatt verifizieren, oder die Sache selbst in ihrer Gegebenheit aus eigener Betrachtung zu durchdringen versuchen. Ich gebe dieser Wahl den Vorzug, denn mir scheint, dass das ästhetische Vergnügen gerade im schrittweisen Aufdecken der strukturellen Ordnung besteht. Man spürt dabei sofort, dass sich die Bewusstseinshaltung verändert, sich aktiviert, Fragen formuliert, Vermutungen anstellt, Bestätigungen ordnet. Die kleinste, jeweils links angeordnete Figur ist offensichtlich am geeignetsten für eine erste strukturelle Erkundung. Der Bewusstseinsstrahl kann dabei zuerst der schwarzen Bahn folgen und stellt fest, dass sie in sich selbst geschlossen ist, immer an den gewählten Ausgangspunkt zurückkehrt. Die korrespondierende weisse Figur ist deckungsgleich, symmetrisch und nahtlos mit der schwarzen Figur verklammert. Wo sich die schwarzen und die weissen Flächen überlagern erscheint das Grau des Grundes: damit bleibt unentscheidbar, welche Figur die andere überlagert und es entsteht eine komplexe, nur im Sehen auf der Fläche existierende Figur, die mit dem Grund verwoben ist. Von diesen Feststellungen ausgehend, kann man nun auch die komplizierteren Figuren mit dem Auge ordnen und es stellt sich heraus, dass überall die selben konstruktiven Regeln Anwendung finden.
Wie weit jeder die ”nicht assistierte” Auskundschaftung dieser Strukturen in ihrer Entsprechung mit Zahlenfolgen, Netzsystemen usf. vorantreiben will, bleibt dem einzelnen Betrachter überlassen. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass jede einmal erkannte Ordnung bei erneuter Betrachtung schwer rückgängig zu machen ist.
Es ist dies eine Form von Evidenz, in der man den Nachweis erkennen kann, dass in diesen Werken eine Idee ”erscheint”, die nur in dieser Form erarbeitet und erkannt werden kann. Dies ist das herausragende Kennzeichen von Werken der konkreten Kunst.

Hans Jörg Glattfelder, August 2008

Neue Entwicklungen der Konkreten Kunst durch Axel Rohlfs

Im bald 10jährigen Programm unseres Instituts für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie mit Galerie ist Axel Rohlfs einer der wenigen Künstler, denen wir eine zweite Präsentation eingeräumt haben. Der 1971 geborene Architekt, Künstler und Dichter vereinigt in seiner Person mehrseitige Interessen und Kreativität, was ihm im Rahmen der Konstruktiv-Konkreten Kunst in den letzten Jahren eine besondere Aufmerksamkeit hat zuteil werden lassen. Was seine Arbeiten vor allem auszeichnet, ist die logische und mathematische Präzision, welche seinen Konzeptionen zugrunde gelegt ist. Es ist selbstverständlich, dass er in seinen Realisierungen – Bilder und Gedichtbücher kommen in diesem Zusammenhang in Betracht – die programmatischen Vorgaben mit großer Exaktheit umsetzt. Die Publikationen, mit denen Rohlfs die Malerei begleitet, sind eigenständig erarbeitete Publikationen, denen jedes Klischee fremd ist. Man wird an eine Publikation des Altmeisters Friedrich Vordemberge-Gildewart aus Osnabrück erinnert, dem Kreis der Avantgarde von Hannover zugehörig und mit Max Bill befreundet: „Millimeter und Geraden“. Es ist dieser Geist der disziplinierten Gestaltung, der Axel Rohlfs motiviert und in ihm die positivistische Haltung der Pioniere einer neuen Umweltgestaltung wieder aufleben lässt. Es ist ein lebhaftes, inspiriertes Herangehen an die Aufgaben, die sich künstlerischer Erkenntnisarbeit stellen. Es handelt sich aber nicht um ein Fortsetzen der frühen Jahre. Rohlfs lebt bewusst im aktuellen kommunikativen und informativen Bezugsfeld und die zur Anwendung gelangende Terminologie ist auf dem jüngsten Stand.
Axel Rohlfs’ Hauptanliegen in der künstlerischen Gestaltung bezeichnet er als Simultaneismus, wozu sich zwei parallele dialektisch ergänzende Aktionen eignen. Das hat für den Betrachter den Vorteil, dass Einblick gewährt wird in Entwicklungsvorgänge von Formen. Kennzeichnend für einige Entwicklungsvorgänge in den jüngsten Bildern ist auch deren regulär-irreguläre Kontur, das heißt die Begrenzung der zur Form gewordenen Prozesse ist nicht durch eine quadratische Tafel gegeben, sondern wird direkt zur Kontur. Das ist so anschaulich wie konsequent. Darüber hinaus verarbeitet Rohlfs gleichzeitig, was durch Arte Madi von Argentinien und in letzter Zeit durch Madi in Ungarn bekannt geworden ist. Übrigens hat sich auch Rupprecht Geiger in einer Frühphase mit den „shaped canvases“ bedient. Axel Rohlfs greift damit Ideenmaterial aus dem Fundus auf und erweitert es in neuen Zusammenhängen. In seinen Gedichtbüchern werden Sprachspiele der verschiedensten Techniken versammelt und nicht weniges darf als zum Besten der Konkreten Poesie zählend bewertet werden.
Eugen Gomringer

Der Werkbericht von Axel Rohlfs

Axel Rohlfs hat guten Grund, sich mit dem Simultaneismus zu beschäftigen, ihn sich anzueignen und für seinen Werkbericht zu interpretieren. Sein Lebensbericht selbst, zur Zeit 35 Jahre zählend, ist am besten als simultaner Prozess aufzufassen: als Gleichzeitigkeit von Vielem, als Dauerprozess von Synthesen.
Man kann dem jungen Künstler, Poeten, diplomierten Architekten überall begegnen, wo sich Konstruktives in Theorie und Praxis, in Wort, Bild und Objekt, in Lehre und Disput über das Bestehende hinaushebt. So ist er bei seinen Besuchen in dessen Brennpunkten als wandernder Jungmeister stets im Bilde, was überall gerade am Werk ist, was sich morgen abspielen wird, und er weiß es genau, denn er hat es bereits studiert. Er ist also der Künstlertyp, den die Denker der besten Jahre des Konstruktiv-Konkreten sich immer wünschten – einer Synthese des Gestaltens, der nicht viele zu genügen vermochten.

Man fragt sich, in welchem Medium sich Simultaneismus am wahrhaftigsten mitteilen lässt. Der Werkbericht von Axel Rohlfs gibt darauf die Antwort. Es ist die Poesie, umfassend als Konkrete Poesie zu bezeichnen. Es sind bekannte und neu geschaffene Strukturen aus Buchstaben, Wörtern, Interpunktionen, ikonischen Zeichen, Wahrnehmungsfeldern – rundum eine linguistische Semantik. Vom Beginn der Konkreten Poesie führt ein gestalterischer Spieltrieb zur fast grenzenlosen Offenheit. Aber da ist auch die Struktur der Theorie. Zwölf Formen unterscheidet Axel Rohlfs und schreibt damit an der Theorie weiter, welcher Max Bense einst die Reihe der berühmten Rot-Bändchen widmete. Axel Rohlfs, der vielseitige Gestalter, überschreitet Grenzen, um zu überschauen und zusammenzufassen. Er wird uns immer wieder darüber berichten.

Dualität Konkret

In Axel Rohlfs Arbeiten erkennen wir häufig Ausschnitte aus Zyklen und Antizyklen: Ein Band schwillt von einer Seite des Bildes zur anderen an. Ein zweites nimmt im gleichen Tempo ab. Doch die hohe Dynamik der beiden Entwicklungen relativiert sich, da beide optisch miteinander verschmelzen, sich gegenseitigen verschatten oder sogar beide nicht mehr identifizierbar werden.
Dieses Phänomen der gegenläufigen Entwicklung ist dem Künstler vielleicht erstmals in seiner Heimat begegnet: In Norddeutschland gab es jahrzehntelang das für Außenstehende amüsante Auftreten des ‚Schweinebergs’:
Waren in einem Jahr die Preise für die Tiere hoch, so folgte im nächsten Jahr ein „Schweineberg“, und die Preise gingen wegen des Überangebotes in den Keller: „Dumme“ Landwirte verhielten sich mit ihrer Schweinehaltung zyklisch, „kluge“ antizyklisch.
Doch sehen wir uns zunächst die Struktur der Rohlfschen Bilder genauer an, befassen uns dann mit deren Inhalt und suchen anschließend ihren Standort in der aktuellen, insbesondere der konstruktiv-konkreten Kunstszene auf:

Struktur
Rohlfs Arbeiten bauen sich aus Zahlenfolgen, Strecken und rechten Winkeln auf. Diese drei Elemente unterscheiden sich in wesentlichen Eigenschaften:
Der rechte Winkel ist eine eindeutig definierte, feste endliche geometrische Größe. Auch eine Strecke ist ein endliches geometrisches Element, wird aber erst durch das Festlegen von Anfangs- und Endpunkt als Teil einer (unendlichen) Geraden festgelegt. Zahlenfolgen sind dagegen unendlich (und es gibt sogar unendlich viele Zahlenfolgen)!
Die Glieder einer Zahlenfolge kann man auf verschiedene Weisen festlegen:
Man kann sie als „Zufallszahlenfolge“ vorgeben oder mit Hilfe einer Gesetzmäßigkeit,, nach der die einzelnen Elemente bestimmt werden, z.B. “alle natürlichen Zahlen“, „alle Quadratzahlen“, „alle geraden Zahlen ab 10, der Größe nach angeordnet“.
Axel Rohlfs hat für seine Bilderserie aus der Fülle der Möglichkeiten Ausschnitte aus sechs speziellen Folgen ausgewählt, von denen außer der Zufallszahlenfolge alle anderen mit dem kleinstmöglichen Element beginnen:
- Die natürlichen Zahlen 1,2,3..8;
- die Quadratzahlen 1,4,9,…64;
- die (nicht immer rationalen) Wurzeln aus x: 1,1,41..,1,72..,2,…2x1,42..;
- die vom Künstler zu einer von ihm als ‚Intervallschachtelung’ bezeichneten Form angeordneten ersten acht natürlichen Zahlen;
- die ersten Zahlen einer Fibonnacci - Folge, bei der jede Zahl aus der Summe der beiden vorhergehenden entsteht..

Nach der Theorie aus der Schule der Pythagoräer führt eine Konstruktion zu harmonischen Gebilden, wenn sie auf Verhältnissen aus (möglichst kleinen) ganzen Zahlen basiert. (Das wird z.B. besonders deutlich, wenn man wie Josef Linschinger Quadrate mit den entsprechenden Seitenlängen ineinander schachtelt.) Fünf der Rohlfschen Serien führen zu ,harmonischen’ Formen, wenn man aus ihren Elementen Rechtecke erzeugt. Hätte Rohlfs allerdings anstelle des jeweils vordersten Ausschnittes der Reihe auf spätere mit höheren Zahlen zurückgegriffen, so wäre dieser Eindruck mehr und mehr verschwunden: Bei einem Verhältnis von z.B. 3 zu 4 erfährt ein Betrachter die harmonisierenden Proportionen natürlich eher als z.B. bei einem Verhältnis von 13 zu 14. Rohlfs Werke enden nicht ‚automatisch’, wie wir es von vielen Quadratbild-Serien der Zürcher Konkreten kennen. Er muss sich subjektiv für Schlusspunkte in seinen Serien (z.B. höchste Zahlen) entscheiden. Aber dieses Problem ist aus dem Werk berühmter Vorgänger bekannt, z.B. in modularen Bildern von Richard Paul Lohse.
Betonenswert sind weitere Aspekte in Rohlfs Arbeiten: Obwohl der Künstler nur geradlinig vorgegebene Streckenstücke in sein Repertoire aufgenommen hat, kann er viele von ihm gewollte geometrische Figuren visualisieren: Ihm gelingen Bilder von wohlgeformten „Wellen“ und Spiralen, die an Fortführungen von Vera Molnars Konstruktionen erinnern. Er schafft dynamisch sich entwickelnde Strukturen. Ihm gelingen in Ausschnitten die für die klassischen Konkreten symbolhaften Punktsymmetrien. Er kann optische Gewichtungen durch blockhafte Serienenden erzeugen …
Axel Rohlfs beschränkt sich bei der Visualisierung seiner künstlerisch-philosophischen Ansätze auf ein Mindestmass aus dem Farben-, Formen- und Zahlenreservoir der konkreten Künstler: Auf die Farben Weiß, Grau und Schwarz, den rechten Winkel, einen Modul in Gestalt einer kleinsten Strecke und Teile aus den geläufigsten Zahlenreihen. Trotz des Einsatzes ausschließlich dieser bekannten zugleich sehr elementaren und in hohem Maße objektiven Elemente – objektiv, weil allgemein bekannt und genutzt und nicht aus subjektiver Vorliebe des Künstlers auserwählt – gelingen dem Künstler interessante neuartige konkrete Kunstwerke: Denn jedes Bild ist wie bei den Klassikern der Konkreten Kunst bereits vor dem ersten Pinselstrich bzw. vor dem ersten Plot bis in alle Details - auch für den Betrachter nachvollziehbar - durchdacht und liegt abgesehen von den mit Zufallszahlen entstandenen Bildern in allen Details fest. Sie sind im Sinne von max bills Definition der Konkreten Kunst „vom menschlichen Geist für den menschlichen Geist geschaffen“.

Inhalt:
Alle Werke Rohlffs in der vorliegenden diskutieren Dualitäten. Das gegenseitige Aufeinanderwirken zweier Strukturen, wie wir es hier bei den sich entgegengesetzt entwickelnden Mäandern erleben, findet sich häufig in Wissenschaft und Kunst. So gibt es in der Mathematik die so genannte „logistische Gleichung“ f(x n+1 ) = r*xn*(1-x n). Sie bestimmt ein Maß x n+1 für den notwendigen Nachschub für ein Warenlager, wobei 0≤ x n≤ 1 den normierten Warenbestand bedeutet und 0≤1 – x n+1≤1 die zum Auffüllen des Lagers notwendige Menge. Offensichtlich wirken beide Terme ähnlich wie Rohlfs Mäanderpaare aufeinander: Während der eine verschwindet, gelangt der andere in den Vordergrund:: Ist z.B. der Term x n für den Warenbestand groß, so ist der andere (1 – x n ) für die aufzufüllende Menge klein. Ähnlich verhält es sich mit der berühmten Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation, nach der im (atomaren Bereich) bei Beobachtungen das Produkt aus Zeitspanne und Raumausschnitt nicht beliebig klein werden kann: Wird die Beobachtungsdauer klein, wächst die dazu notwendige geometrische Ausbreitung und umgekehrt.
Andere duale Effekte treten in unserer Wahrnehmung auf: Hängt man - wie Rafael Soto im Eingangsbereich des Pariser Centre Pompidou - viele Stäbe eng nebeneinander, so erscheinen sie von weitem wie eine räumliche Wolke. Nähert man sich ihr, so geht das Bild des räumlichen Körpers jedoch über in das vieler einzelner (linearer) Stäbe.
Auch die von Salvador Dali und dem Mathematiker Thom gemeinsam untersuchten Katatrophen in Gestalt von Kippbildern sind hier zu nennen: Im Dali-Museum im spanischen Figueras springt die Ansicht eines Wohnraumes von einem bestimmten Platz aus betrachtet in ein Frauenporträrt über und verdrängt somit das erstere. Mit malerischen Elementen, wie sie auch Rohlfs einsetzt, hat dies die Französin Aurélie Nemours mit ihrer Serie „rythme du millimètre“ untersucht, in der sie die Gitterlinien eines regelmäßige Rasters mehr und mehr verbreiterte, bis sie für den Betrachter zu Flächen wurden. Ähnlich wie bei den Bildfolgen von Nemours läßt sich auch in jedem Einzelbild von Rohlfs - insbesondere in den langen Doppel-Mäanderbildern - der Beharrungswunsch des Betrachters nachvollziehen: Von links bzw. unten beginnend identifiziert er den nach rechts bzw. oben mehr und mehr verschwindenden abbauenden Mäander länger; als wenn er von rechts begonnen hätte. Schwieriger verhält es sich dagegen mit der vom Künstler ebenfalls ins Auge gefassten Anregung des Betrachters, das jeweils Fehlende – hier die verdeckten Teile eines Mäanders - im Geiste zu ergänzen. Dieser mehr analytisch als nur durch Anschauung zu bewältigenden Aufgabe weicht der Betrachter gern aus – ähnlich wie bei den halbe Kugeln bzw. halbe Würfel präsentierenden Skulpturen von max bill, bei denen er sich auch lieber mit der real vorhandenen als mit dem geistigen Ergänzen der nicht vorhandenen Hälfte befasst.
Dieses von Rohlfs in den Vordergrund seiner Arbeit gerückte Thema der Dualität tangiert den aktuellen Problemkreis ‚Kunst und Wissenschaft’, es dem bereits berühmte Beispiele bekannt sind: Hansjörg Glattfelders „Nicht-Euklidschen Methaphern“, Karl Gerstners „Hommage an Benoit Mandelbrot“, Rune Mields’ „Sieb des Erathostenes“, Gerard Caris’ pentagonale Symmetrien im Raum - um nur einige noch verhältnismäßig jüngeren Datums zu nennen. Aber hier gelingt es nun einem Vertreter der nachfolgenden Generation, ein für Wissenschaft und Gesellschaft zur Zeit wieder aktuelles Thema, die Dualität (z.B. bei der ‚Wellenförmig-oder-Partikelartig-Diskussion’ in der modernen String-Theorie der Physik, im christlich-islamischen Dialog, bei den Diskrepanzen zwischen nationalen und europäischen Interessen in der Verfassungsdiskussion …), konsequent und auf neuartige Weise aber doch mit den überlieferten Mitteln der Konkreten Kunst zu diskutieren.

Axel Rohlfs ist ein interessanter junger Konkreter, der es versteht, ein anspruchsvolles, aktuell allgemein interessierendes Thema als Künstler kompetent zu diskutieren.

Interview zu den Knotenbildern

Axel Rohlfs: Wir haben uns ja jetzt schon eine halbe Stunde dem Gegenstand meiner Knotenbilder angenähert und ich möchte jetzt das Interview beginnen mit der Übersicht über die Knotenkonstruktionen. Du hattest gesagt, dass man sofort sieht, dass es sich um ein additives Prinzip der Bildherstellung handelt. Du unterscheidest ja in deinen Theorie-Werken (z.B. im Katalog der Kunsthalle Budapest 1995) zwischen „Teilung“ als „Renaissance-Prinzip“ und „Addition“ als „transklassischem Prinzip“. Auf dieser Ebene stehen die Knotenbilder hier deinem Werk also durchaus nahe?

AK: Bezüglich dieses Prinzips: ja. Es gibt entweder das oder das andere.

Axel Rohlfs: Wenn wir nun auf das Bild „Netz - Natürliche Zahlen“ schauen, dann sehen wir ja, dass zwei Netze simultan ineinander verwoben sind und du hast gesagt, dass der eigentliche innovatorische Gehalt dieser Knotenbilder im Feld der konkreten Kunst eben in dieser veranschaulichten Simultaneität bestehe.

AK: Ja. Du gehst eigentlich von zwei Quadraten aus, die miteinander verwoben immer komplexere Konstellationen zeigen. Du konstruierst in den zwei Verläufen symmetrisch immer ein und dasselbe mit weiß und schwarz, damit man beides klar unterscheiden kann.

Axel Rohlfs: Aber es ist ja eine Simultaneität dadurch, dass sie komplementär bzw. reziprok sind. Wie würdest du diese Simultaneität näher kennzeichnen? Erkennst Du in einem Moment diese Simultaneität?

AK: Es ist eine solche Konstellation, weil es ein Ineinanderverwobensein und eine Regelhaftigkeit ist. Ineinander verwoben und regelhaft – und nichts anderes. Das ist sehr wichtig: Es treten keine Begleitfaktoren hinzu. Würde das der Fall sein, so gelänge es in den Bereich ornamentaler Geometrie oder es würde so kompliziert, dass man es in der Wahrnehmung nicht rückführen kann auf diese Konstruktions-folgen. Hier in den Knotenbildern kann man die Einzelschritte sehr gut wahrnehmen.

Axel Rohlfs: Kennst Du solche Formen der Simultaneität in der konkreten Kunst noch bei anderen?

AK: Ich nicht. Ich würde es als Deine Leistung bezeichnen.

Axel Rohlfs: Und was löst dieses dann in Deiner Wahrnehmung aus?

AK: Freude. Ich kann nichts weniger ausstehen als die Simplizität. Ich freue mich, wenn ich komplex denken kann. Menschlich freue ich mich, wenn ich komplex wahrnehmen kann. Für Simplexe interessiere ich mich nicht.

Axel Rohlfs: Du hast aber auch festgestellt, dass sich schon Künstler vor mir mit dem Prinzip der unendlichen Linie beschäftigt haben. Waclaw Szpakowski (1883-1973) war als einer der ersten ab 1900 auf diesem Feld tätig und dann später in den 1930er Jahren Josef Albers. Wie würdest du meine Knotenbilder im Verhältnis zu Szpakowskis´ und zu Albers´ Werken bewerten?

AK: Diese beiden Künstler haben immer offene Linien produziert, deine Knotenbilder sind abgeschlossene Linien.

Axel Rohlfs: Also zirkular. Gibt es noch bei anderen Künstlern zirkulare Systeme?

AK: Mir fallen spontan keine ein.

Axel Rohlfs: Also das wäre auch eine Neuerung.

AK: Ja, eigentlich ja. Alle stehen für die Offenheit. Sie sprechen mit Eco vom „offenen Kunstwerk“ als einer Qualität der Kunst des 20. Jahrhunderts, obwohl es immer „offene Kunstwerke“ gab und offenes Denken gab, weil: abgeschlossenes Denken, Denken mit dem Ergebnis von endgültigen Denkmomenten, ist eigentlich dumm. Eine bestimmte Qualität ist abgeschlossen, eine gute Form ist immer abgeschlossen, nicht offen. Eine wirklich gute Qualität ist in sich abgeschlossen als Produkt. Dann arbeiten wir an der nächsten Qualität. Die wird wieder abgeschlossen als Produkt. Nicht Produktionsprozesse sind abgeschlossen, die sind immer offen für neue Produkte, aber das Produkt selbst ist irgendwann abgeschlossen. Es wird fertig, und eben durch seine gute singuläre Qualität komplett, nicht offen für weitere Gestaltungs-Prozesse. Eine Zeile aus einem Goethe Gedicht oder das ganze Gedicht wird in seiner Qualität nicht zu steigern sein, eine Form aus einem Dürer Bild steht nicht mehr offen für weitere Form-Prozesse – diese Resultate sind also endgültig, beendet und abgeschlossen.

Axel Rohlfs: Wir haben Simultaneität und Zirkularität als wesentliche Bestandteile der Knotenbilder bezeichnet. Könnte man nicht aber auch von einer „osmotischen Offenheit“ des weißen Knotenverlaufs zum schwarzen sprechen?

AK: Nein, das ist nur eine psychische Neigung. Es gibt eine Lebendigkeit für meine Wahrnehmung, aber sonst ist es abgeschlossen.

Axel Rohlfs: Also siehst du es nicht so, dass das Auge fluktuiert zwischem weißen und schwarzen Knotenverlauf?

AK: Doch, es wechselt hin und her. Das Auge folgt nicht ausschließlich dem einen oder dem anderen. Mein Auge wird geführt über mehrere Schritte und dann wechsele ich, warum auch immer, zu dem anderen Knotenverlauf. Das geht abwechselnd so weiter, irrational, ohne einen rationalen Grund.

Axel Rohlfs: Das heißt: Die Offenheit des Knotenbildes entsteht für dich im Wahrnehmungsprozess selber, dadurch dass das Auge zwischen dem weißen und dem schwarzen Knotenverlauf hin- und herwechselt.

AK: Dadurch, dass das komplex ist und größer wird; wenn ich anfange, dauert es lange, um zum Ende zu kommen. Nicht etwa wie bei einem Kreis: da kann ich innerhalb einer halben Sekunde zum Ausgangspunkt zurückkehren. Und dann wiederholen, wiederholen. Eine Schleife dauert schon lange. Je komplexer das Gebilde wird, desto länger dauert in der realen Zeit die Wahrnehmung dessen.

Axel Rohlfs: Das heißt, es gibt für Dich eine Abtastbewegung des Sehens, …

AK: …ja, natürlich…

Axel Rohlfs: …was zu dieser Irrationalität, zu dieser Offenheit führt.

AK: Nicht wirklich Irrationalität: Es führt mich vom Denken zur Wahrnehmungsebene, weil das für mein Auge interessant ist. Dann denke ich dabei nicht. Es ist nicht notwendig zu denken, weil die Formen wie das Leben sinnlich wahrnehmbar sind.

Axel Rohlfs: Ein drittes Element neben der Simultaneität und der Zirkularität, ist, dass die Überlagerungsflächen vom weißen und vom schwarzen Knotenverlauf in demselben grau gehalten sind wie der gesamte Grund des Bildes. Was passiert denn da für dich in der Wahrnehmung? Ich habe es „Versinken“ genannt, aber wie siehst Du es?

AK: Das wird als zwei Zugehörigkeiten aufgefasst. Mein Auge denkt darüber überhaupt nicht nach, ob es Teil der Figur oder Teil des Hintergrundes ist, weil die Figur so elementar, determinant da ist, dass es gar nicht auffällt.

Axel Rohlfs: Wenn ich ein wenig schiele, dann erschient es mir, als ob die weißen und schwarzen Formen „versinken“.

AK: Ich rate, nicht zu schielen!

Axel Rohlfs: Dann hast Du noch davon gesprochen, dass sich Symmetrien aufbauen. Aber eigentlich ist es doch vor allem eine Punktsymmetrie – oder nicht?

AK: Es gibt mehrere Symmetriefälle, die dort bestimmt analytisch erfassbar sein könnten. Aber mein Auge ahnt es nur und es ist zufrieden damit. Es hat nicht die Veranlassung, auf eine rationale Ebene zu springen oder es wirklich rational zu erfassen, weil es das Bild gerne sieht. Und wenn ich etwas gerne sehe, dann bin ich damit zufrieden. Denken fängt immer dann an, wenn ich sinnlich nicht befriedigt bin. Man fragt sich: „Warum bin ich nicht befriedigt?“ Mein Auge muss mir normalerweise Zuversicht über die Welt vermitteln.

Axel Rohlfs: Und hier bei den Knotenbildern erfolgt eine sinnliche Befriedigung?

AK: Ja, natürlich.

Axel Rohlfs: Aber es ist doch mehr als die alltägliche Gestaltwahrnehmung, weil es hier ja diese Simultaneität gibt.

AK: Die Komplexität.

Axel Rohlfs: Und diese Komplexität ist das „ästhetische Plus“ des Knotenbildes gegenüber der normalen Alltagswahrnehmung?

AK: Nein, es ist parallel dazu. Eine Form ist unglaublich komplex. Alles ist sehr komplex.

Axel Rohlfs: Aber nicht simultan.

AK: Doch, simultan. Weil ich sehe, dass es zusammengesetzt ist. Es ist nicht monostrukturell, sondern es ist simultan von ganz verschiedenen Qualitäten gleichzeitig. Und dazu parallel ist es in einer anderen Dimension Menge, Zusammenfassung von Untermengen, komplett und komplex, also nicht simpel. Es gibt eine untere Grenze, worunter ich persönlich nicht befriedigt bin, auch wenn das gut ist. Es ist zu einfach. Zwar qualitativ richtig, aber mir zu wenig. Ich erwarte eine gewisse Komplexität. Wenn ich das nicht spüre, sage ich: „Das ist minimalisiert!“

Axel Rohlfs: Und dann noch das Thema Proportion und Reziprozität. Wir haben ja hier eine reziproke Formung zweier Netze und die führen zu bestimmten Proportionen. Du hast aber schon gesagt, dass es für dich, um in deinen Termini zu sprechen, sich hier nur um eine „Artikulation“ handelt - also nicht: ein Netz gleich Artikulation und Bezugssystem.

AK: Nein, auf keinen Fall. Wie ein Sonett, das auch eine komplexe literarische Artikulation ist. Die Reihenfolge ist aber eine andere. Wir müssen erst eine Sprache formulieren, bestehend aus einer Grammatik und ein Wortschatz, um in dieser etwas artikulieren zu können. Wir brauchen aber in einer zuerst leeren Sprache nichts zu artikulieren. Die Artikulation ist nur eine Möglichkeit. Wie in der Verbalität, in der Literatur auch. Wir bilden die deutsche, lateinische oder irgendeine Sprache, und bleiben stumm oder entscheiden wir uns in diesen Sprachen für das Sprechen, also für die Artikulation.

Axel Rohlfs: Was für eine Rolle spielen für dich diese Umproportionalisierungen. Man kann ja die gleichen Knotensysteme in unterschiedliche Zahlen- und damit Breitenverläufe bringen und dann ergeben sich unterschiedliche Proportionen. Was passiert für dich dabei, wenn Du das eine Knotensystem realisiert siehst in Natürlicher Zahlenreihe, Intervallschachtelung und Random?

AK: Es kann schulhaft, mit gleichmässigen Quadraten proportioniert sein oder z.B. französisch kariert sein oder noch mehr verändert sein. Das ist der Unterschied. Das Quadrat wird dadurch entweder belassen wie es ist oder verzerrt. Die Änderungen der Proportionen nennen wir auch Transformationen. Durch die Transformationen können natürlich auch andere Qualitäten der Formen entstehen. Der Unterschied besteht dann auch noch in einer anderen, veränderten Expressivität, weil es gefühlsmäßig nicht dasselbe ist, nur rational. Unterschiedliche Expressivität, identische Rationalität.

Axel Rohlfs: Nehmen wir dieses Gebilde „Helix-Intervallschachtelung“, wo sehr viel grau innerhalb der Doppelstruktur ist. Das sieht doch ein wenig so aus, als ob die Figur fadenscheinig wird, als ob die Figur transparent wird auf den Grund hin.

AK: Es hat diese Tendenz, aber noch ist es das nicht.

12.08.2008 in Budapest

Ein Vorwort für Axel Rohlfs

Acht ist zwei hoch drei, kann man schreiben. Das sind fünf Wörter. Drei davon sind Zahlwörter, eines bezeichnet  eine Funktion, ein letztes eine Gleichsetzung, also eine Relation. Die Zahlwörter sind dabei die einfachsten. Sie stehen für Objekte einer besonderen Art, „Zahlen" nennen wir sie. Wir wissen ziemlich genau, was wir von ihnen zu halten haben, kommen sie doch früh in den Kulturen vor. Ihr genaueres Wesen haben die Mathematiker erst vor kurzem ausgemacht, z.B. Georg Cantor von keinen 150 Jahren. Was da „Zahl“ ist, lässt anderen Menschen die Haare zu Berge stehen.

Zwei, drei, acht – unproblematische Benennungen für uns, solange wir sie nicht problematisieren. „Hoch" und „ist" oder , was auch ginge vom Sinn her, „gleich" oder auch 2ist gleich" sind schwieriger. „Hoch" steht für eine Operation, die es auszuführen gilt: zwei hoch drei ist soviel wie zwei mal zwei mal zwei. Drei Faktoren, jeder davon gleich zwei. Das verstehen wir, wenn wir „mal" schon kennen. Die Relation „ist gleich"  ist schön. Wir könnten sie per Notation in ein kleines Geheimnis verwandeln. So etwa:

equal ( 2 ^ 3, 8 )

oder auch

= (^ (2 3), 8).

Behauptet wird die Gleichheit zweier arithmetischer Ausdrücke, ihren Werten nach. Doch lassen wir solche verwirrenden Glasperlenspiele aus dem Reich der Formalismen! Wenn es weiter noch ginge, läge bald alle Notation offen und klar vor uns.

23 = 8

sieht wohl schöner aus, finde ich. Jedenfalls scheint es gewohnter zu sein, für Sie nicht? Die Notation ist ein wenig anders geworden, stimmt’s? Nicht nur auf einer Zeile, sie geht in die zweite Dimension. Und das Operationszeichen der Gleichheit steht zwischen den beiden, deren Gleichheit es behauptet.

Allzu witzig ist das alles nicht. Axel Rohlfs nimmt solche einfachen Gegebenheiten zum Anlass seiner Bildfolgenkonstruktionen. Eine Folge von Zahlen erst einmal, wie eben die Folge 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. Sie werden geometrisch interpretiert, als Längen oder Breiten von an einander gesetzten Strichen, die regelmäßig die Richtung wechseln, sich winden, knicken, schlängeln, springen.

Wenig an Vorgabe, ein wenig Arithmetik, ein wenig Geometrie. Dann eine Regel, die beide verknüpft, die Arithmetik mit der Geometrie. Dann aber noch mehr als eine simple Regel: ein Gedanke, ein Blitz, eine Intuition. Zwei Bewegungen, aufeinander zu, in einander verdreht, gegen einander gerammt. Daraus erst, aus Verschlingung, Entsprechung, Aufhebung, Ergänzung, aus der Form und Gegenform entsteht eine Spannung, ein Interesse. Er spricht von der Abwesenheit von Form, der Künstler. Schelm, denkt man sich dabei vielleicht.

Bei solchen konkreten Werken, die das sind, was sie sind, nicht das, was sie nicht sind, muss die Frage erlaubt sein, warum überhaupt erst zeichnen und mithin zeigen, warum nicht nur die Regel sagen und mithin denken. Es wird also doch etwas vorgeführt, etwas repräsentiert und nicht nur präsentiert. Ist es das?

Die monochrome rote Leinwand ist die rote Leinwand, sonst nichts. Sagen wir. Doch das sagt sich so leicht dahin. Denn kaum hängt die monochrome rote Leinwand an der weißen Wand des Museums, schießt uns auch schon, vorüber schlendernd und im Schlendern vielleicht aufstutzend, das eine oder andere in den Sinn. Gewiss: ich würde auf die große rote Leinwand zugehen, mich ganz ihr aussetzen, die Farbvibration erleben wollen. Ich würde langsam wieder zurückgehen, immer das Rot im Auge behaltend, das Qualizeichen, das purste, das mir in den Sinn käme. Es läge mir im Sinn, wie sollt‘ ich das hindern. Ich würde dennoch mehr noch denken, manches mehr, je nach Gegebenheit. Die Zahlenreihen, schlicht marschierend oder springend, stürmend, die Axel Rohlfs an den Anfang stellt, würden jedoch viel mehr evozieren. Es mag sein, dass ich sie entdecke, die Zahlen, in den Abmessungen der Geometrie. Schon finge ich an, zu suchen, weitere solche, wie wir meinen, abstrakten Bedeutungen zu suchen. Ich würde welche finden. Und die konkrete Kunst erlaubte mir, eine schamvoll-frohe intellektuelle Freude zu empfinden, weil es so durchsichtig konkret zuginge. Intelligenztest nennen die Amis das. Das verleidet mir den Spaß ein wenig.

Ich trete zurück, betrachte einfach nur. Sehe jene verborgenen Verhältnisse nun schon mit geringerer Anstrengung. Redundanzen bilden sich heraus. Grund für Zufriedenheit. Nicht zuviel, bitte, von Redundanz, die Langeweile soll noch auf sich warten lassen.

Unweigerlich irgendwann aber die Frage: „Kunst?" Ich zucke vermutlich, wenn sie gestellt wird, die Schultern. Zu abgeschmackt wahrhaft, ist sie doch. Wozu denn? Klar doch Kunst, naturgemäß. Na ja, tut „Ästhetik" es vielleicht nicht auch? Das sauber ausgeführte Werk als Material mit Farbform, Farbenformen. Meine Wahrnehmung dessen: Ästhetik. Meine Aufmerksamkeit wird aufrecht erhalten. Eine Zeit lang jedenfalls. Das ist es. Mehr nicht. Formforschung. Zahl in Geometrie und Entsprechung.

Naturgemäß kommen mir ganz andere Gedanken auch in den Sinn. Wenn ich lustig bin und jemand dabei ist, rufen wir uns Gedanken in den Sinn. Wir können das fast beliebig machen. Wir kämen, wenn wir es geschickt anstellten, ins Fabulieren, Schwärmen, Erfinden, Übertreiben, Auflehnen, Abweichen, ... Es gäbe kein Halten.

Axel Rohlfs kann sich so konkret benehmen beim Aushecken seiner computergestützten Produktionen, wie er das gern will. Ich freue mich darüber, dass er das tut.Denn das KOnskrete leidet unter den Rückzügen, die es antreten musste. Meine Betrachter-Gedanken tun ja auch, was sie wollen oder was ich will. So ist das mit der Sichtbarkeit. Wir sehen halt etwas anderes als das, was der Künstler vielleicht wollte. Dafür sollt’ er uns dankbar sein. Oder nicht? Jetzt aber schaun Sie mal. Aufmerksam gelangweilt und interessiert …

Entwurf einer Ästhetik der Abwesenheit als Anschauungsform der Unanschaulichkeit

Basis der vorliegenden Ästhetik der Abwesenheit ist die Auffassung, dass sich Denken seinem Gegenstand bis zu einem nominalistischen Strukturalismus nähern kann und das Denken sich dann selbst als Ästhetik der Abwesenheit wahrnimmt. Indem Denken, Wahrnehmung und Wahrgenommenes in der Ästhetik der Abwesenheit zusammenfallen ist ein Höchstmaß an erfassbarer Komplexität erreicht (sozusagen ein formaler Autismus). Abwesenheit ist im Autismus (d.h. der ungefilterten Reizaufnahme) nicht denkbar; allein mit dem Auftreten von Information im Neumannschen Sinne, also der Filterung der Reize und ihre Ordnung nach bewussten und unbewussten Faktoren ist eine Abstraktion begonnen, die in der Ästhetik der Abwesenheit konterkariert werden kann. Die Steigerung der Abstraktion zu einer Form ist die Gestalt und schließlich in ihr die Idee (vgl. Akthierarchie Husserls).
Form der Abwesenheit ist auf allen drei Ausprägungsintensitäten der Filterung von Reizen und Ordnung nicht denkbar, da zu dieser eine memorisierte, also mit Redundanzen durchzogene Gruppe von Einzelinformationen erforderlich ist: Erst der Filter der Gestalt(wahrnehmung) ist für eine Form der Abwesenheit geeignet. Werden Redundanzen, die erst durch Memorisieren entstehen, ausgedünnt, dann wird individuelle Gestalt auf einen Typus, oder auch eidos, zurück“gefluchtet“. Eidos selber enthält per definitionem keine Redundanzen.
Man mag einwenden, dass jedes Kunstwerk eine Abstraktion also eine Form der Abwesenheit ist. Wo wäre also die Grenze zwischen bloßer Abstraktion und Abwesenheit zu ziehen? (hier Kooridinatensystem einfügen!) Dort, wo nicht durch Abstraktion Präsenz des Gegenstands durch Überpräsenz der Zeichenhaftigkeit der Abstraktion ersetzt ist, sondern Redundanzen so reduziert sind, dass der fehlende Gegenstand im Bereich körperlich-haptischer also unmittelbarer Erfahrung von Spuren, die zumeist an Bewegungsvorstellungen gebunden sind, erahnt wird.
Das sichtbare optische Zeichen (Abstraktion) ist überpräsent, da es sich leicht in die Erinnerung einlagert und an Dimensionen nicht gebunden ist. Abwesenheitserfahrung bleibt an unmittelbaren Objektbezug gebunden : Haptik. Es enthält noch die Gestalt als Erinnerung an die Gestalt als ein Fetisch. Es sollen denkbare Ausformungen von Abwesenheit, also einer Reduktion von Redundanzen einer Gesamtgestalt, untersucht werden, um am Schluß dieser „Botanik“ der Dekonstruktion der Realitätskonstruktion des Menschen aus Gestalten und Information (=Ausdünnung von Reizfülle) eben über diese Ausdünnung der Ausdünnung durch Gestaltpsychologische Filterung zu einem technischen Destillationsapparat zu kommen.

Dieser soll:

1) weiterem Schaffen auf diesem Gebiet als Leitfaden dienen

2) Grenzen der Redundanzreduktion als Grenzerfahrungsbereiche eruieren ( diese sind notwendigerweise auch kulturgeschichtlich determiniert, was eine neue Kulturgeschichtsschreibung unter diesem Gesichtspunkt nahe legt); diese Bereiche sind der Spielraum des Werkes von Abwesenheit und der Sensibilität des Betrachters

3) Um mit Hildebrandt zu sprechen, wird das Haptische (Gestalthafte) zum Ungreifbaren, also quasi „veredelt“, will man Kantsche Zwecklosigkeit des „Schönen“ unterstellen.

4) Gestalt und somit die gesamte Konstruktion der (Erfahrungs-) Welt wird hinterfragt: der Dekonstruktion folgt Neukonstruktion.

Die Restspuren von Reizformationen, die zu einer Gesalterinnerung also Abwesenheit führen, sind für eine freiere Rekombination geeigneter, also sozusagen räumlicher an Möglichkeit (Matrix), also Existenz als Selbstentgrenzung. Der Mensch realisiert sich selbst in der Matrix als Aufenthaltswahrscheinlichkeitsraumfigur (Orbialmodell): Zeit und Raum sind zusammengeführt zu einer amorphen statistisch ausmittelbaren Raumfigur, die ihren –jedoch präfixierten- Niederschlag in der Architektur findet. Diese Raumfigur kann in eine Gestalt gedacht werden, um wahrnehmbar zu werden.

Eine Gerade wird –in Abwesenheit- bestimmt durch 2 Punkte, eine Parabel durch drei usf., aber es muß eine Intention, eine Teleologie hin zum Vervollständigten vorgegeben sein, um diese Elemente aus den jeweiligen Punkten schließlich herauszulesen.
Intention, Teleologie ist tragbar im Sinne eines Empiriokritizismus nur, wenn man sie erkennt: das eine im anderen, das andere in einem , so dass beide, Wahrnehmung und Wahrgenommenes sowie Spur und geschlussfolgerte -abwesende- Gestalt ja Realität und Gestaltwahrnehmung im Allgemeinen sich gegenseitig transzendieren:
Es kann nicht behauptet werden, dass Gestalten allein Konstrukt der Wahrnehmung sind; auch das Gegenteil, dass Realität aus Gestalten besteht, kann nicht behauptet werden. Letztlich stößt man auf das Phänomen geradezu endlos in alle Richtungen teilbarer Wahrnehmungs- und also Denkeinheiten. Gestalten bestehen aus Gestalten, die wiederum aus Gestalten bestehen usw.. Die solchermaßen auf die Undurchdrinlichkeit der Realität selbstdurchsichtig gewordene (stets aber Gestaltwahrnehmung bleibende) Wahrnehmung erhält ihre Anschauungsform in den Abwesenheitsformen, die wiederum Gegenstand der hier entwickelten Ästhetik der Abwesenheit sind. Die Definition von Ästhetik als Lehre der Anschauungsformen für Wahrnehmung geht auf Schopenhauer zurück, erfährt über Konrad Fiedler und seinem Freund Hildebrandt weitergehende Ausformung.

Die Ästhetik der Abwesenheit ist eine Metaphysik als Empiriokritizismus, der die Undurchdringlichkeit des Realitätsgeflechts aus Multivalenz und Multikausalität anerkennt.


Formen der Abwesenheit


1.0 Übergestalt
Bei übergestalthafter Absentierung wird die Einzelgestalt nicht dekonstruiert, nicht an Redundanzen ausgedünnt, sondern in eine übergeordnete Struktur eingebunden und verliert so an Präsenz.

1.1 Serie / Matrix / Permutation
Gestalt wird in eine Reihe von –jeweils nicht endgültigen – Variationen gestellt.
Gestalt wird gewissermaßen „überschrieben“ und nicht ausgedünnt.

Vgl. Bills Aufsatz zur Serie und Gomringers Einwortaustauschgedichte (Matrix)

Permutation, also das Platzaustauschen von einer Anzahl von Elementen, ist eine endliche Serie, die die herkömmliche Fixation eines Elementes an einen Ort, aufhebt. Durch Permutation ist der Gestaltcharakter leicht gebrochen. Permutation geht über in den Bereich der Prozeßhaftigkeit.

1.2 Prozeßhaftigkeit, Ritus, Recyceln
Ist eine Gestalt nicht nur örtlich defixiert (Permutation), sondern auch im Wandel, zeitlichem Vergehen dargestellt, um mit Hegel zu sprechen : in die Synthese aus Sein und Nichts, das Werden, „gespannt“ zur Anschauung gebracht, so ist der Gestaltcharakter in seiner Zeichenhaftigkeit aufgehoben. Beispiele sind rituelle Auflösungen von Figuren, so z.B. das Versenken von Lehmfiguren im Ganges in der hinduistischen Religion, Feuer-Opfergaben usw.. Die sich selbst zerstörenden Maschinenkonstrukte Tinguelys, die Schimmelbilder Diter Roths weisen ins Vergehen, die kinetische Kunst eines Moholys´, Calders´, Graevenitz´ gehören eigentlich in die Gruppe der Serie, da eine für die Sinne endliche Folge von Konstellationen gezeigt wird. Jedoch wird bei der Serie im herkömmlichen Begriff nur eine Anzahl von i.d.R. mindestens drei Variationen gezeigt, die über sich hinaus weisen, bei der kinetischen Kunst werden alle –technisch- mögliche Konstellationen gezeigt.

Aber auch Werke der Arte Povera gehören hierher, die z.T. in den Bereich der Folienhaftigkeit (siehe unten) übergehen wie z.B. Haens´ (?) Decollagen.

Das zu Kunstwerken Recycelte erfährt ihre höchste vorstellbare Kleinteiligkeit im Filz der Beuysschen Kunstwerke. Filz wird aus Zerkochen und Zerfasern von Textilien und Haaren gewonnen. Es wird zur Metapher von Kontingenz, undurchdringlicher Realitätsstruktur.
Recyceln ist das Wiederverwenden von aus dem Funktionszusammenhang genommen Gegenständen, die dadurch eine neue Bedeutung erlangen (z.B. als Matritze für Gebrauchsspuren, als Phänomen des Massenproduktes und der Vermassung des Menschen). Es hat daher Ähnlichkeit mit Ready Mades (siehe 3.6!).

1.3 Oberflächenduplizierung nach außen (Konvexierung)
-Man Ray Objekt von 1920 aus Arturo Schwarz-Buch
-Magritte: Liebespaar (1927)
-Christo

1.4 Radiales<
Hellmut Bruch: Kreislinienteilstück mit Radius x
Aus Information x folgt Information y, hier aus dem Abschnitt einer Kreislinie der –nur visuell nur erahnbare Radius und Mittelpunkt. Im Grunde handelt es sich um ein geometrisches Bruchstück.

1.4 Intermonde
Entnahme einer (Stuhl) oder mehrerer Funktionen (Haus) aus dem Fundus von Bewegungsvorstellungen des menschlichen Körperbewußtsein, ihre Darstellung im Produkt, das gleichzeitig auch Niederschlag von Bewegungsvorstellungen ist. Der unbesetzte Funktionsgegenstand ist Abwesenheit des Menschen, er wird im Gebrauch Matritze, an dem sich Gebrauchsspuren sich ablagern (vgl. Beuys: „Zeige Deine Wunde“-Installation, v.a. auch die Seziertische). Oft tragen Einzelteile von Funktionsgegenständen Körperteilbezeichnungen, so z.B. die im Barock üblichen ovalen Fenster, „occuli“, also „Augen“ genannt (vgl. Einfühlungstheorie von Wölfflin).
Die Bewegungsvorstellungen sind statistisch gemittelt darstellbar (vgl. Bewegungsschemata in Alexander Kleins´Grundrissanalysen von 1927 und die Abhandlungen zur Frankfurter Küche –Schütte-Lihotzky und Bruno Taut?!-). Die (Funktions-) Architektur ist gewissermaßen ein Aufenthaltswahrscheinlichkeits- bzw. möglichkeitsmodell von Aktion (Orbitalmodell der Existenz).

2.0 Untergestalt
Bei untergestalthafter Absentierung wird die Einzelgestalt dekonstruiert, an Redundanzen ausgedünnt, und verliert so an Präsenz.

-Simultaneität (synthetischer Kubismus Phase 1)
-Komplementarismus aus dem Futurismus
-Ambiguität (Merleau-Ponty)

2.1 Subtraktion von einer Dimension
-Walter de Marias 1km-Stab in Kassel in der Erde (3 Dimensionen reduziert zu 2) oder zwei Dimensionen zu einer reduziert

2.2 Reduktion des Gestaltphänomenenkanons auf eine Sinnesreizebene
-Duchamps´Schnurknäuel zwischen zwei Blechtafeln mit Gegenstand im Innern des Knäuels (1917), Abb. in C. Tomkins Biografie
-Yves Kleins Taktile Skulptur

2.3 Zustand zwischen den Dimensionen
-Yves Kleins monochrome Bilder ohne Oberflächenreflexion („Pneuma“-Theorie s. 1 Buch von Taschen Verlag)
-Péris 2,5-dimensionale Konstruktionen aus Beton in den 20er Jahren
-Räumlichkeit in der chromatischen Malerei (Jochims, Ruprecht Geiger)

2.4 Dimensionen-Verschränkung
2.4.1 Zweidimensionale Elemente im Raum (Silhouettierung)
-Linienzeichnungen im Raum (Lipchitz „Transparencies“, Calders Drahtskulpturen aus den 30er Jahren und Picassos Denkmal für Appolinaire:
Linien im Raum (2D in 3D)
Vorgeschichte: Cloisonismus von Gauguin, Schule von Pont Aven: große geometrische Flächen aus denen Gesichter und Hände „luken“.

2.4.2 Eindimensionale Elemente auf der Fläche (Pixelung)
-Pixelung: (Beuys´ schwarzes Quadrat in Wachs, Noli me tangere (Ingoldstadt), Pointillismus, das Prinzip der Mattscheibe im Werk von Klaus Staudt und Tom Mosley, André Kertész´Foto Mann hinter Mattscheibe, im weitesten Sinne auch die Unschärfe der Foto-Bilder Gerhard Richters; 1D in 2D).
Vorgeschichte: Sfumato-Technik (Leonardo Da Vinci über Stuck und 1 frz. Maler (düster) der Jahrhundertwende (de Chavannes?) bis Czobel)
Strukturalismus Seuratscher Landschaften

Die Pixelung („Unschärfe“) führt wie keine andere Absentierungstechnik die Grundlage der Absentierung vor Augen: Redundanzen einer Gestalt werden ausgedünnt, das Raster der zusammengefügten Einzelinformationen wird vergrößert, bis irgendwann die Gestalt aus ihrer absentierten Form nicht mehr rekonstruiert werden kann. Seine Entsprechung findet die Redundanz als Prinzip der Konstitution von biologischer Gestalt im Prinzip der Zellteilung usw..

2.5 Oberflächenduplizierung nach innen (Konkavierung)
Archipenkos negative Skulpturen aus den 1910er Jahren als eine Art Aushöhlung von Körpern.
-Externsteine

2.6 Anti-Teleologie
Das Sich-Abwenden von Figuren und Porträtierten findet sich in den Bildern Caspar David Friedrichs und Gerhard Richters (Frauenporträt von 1986).
Seit dem Entstehen des aufrechten Ganges wurde die Vorderseite des Menschen mehr und mehr Medium der Kommunikation, so dass sogar andere Körperteile im Laufe der Evolution auf ihr nachgebildet wurden (Brüste als Nachbildung der Gesäßmuskeln als Reizmuster im Fortpflanzungsprocedere). Die Zielorientiertheit in der Kommunikation unter Menschen bedarf des „Angesicht zu Angesicht“. Das Sich-Abwenden hat den Eindruck des Sich-Entziehens zur Folge.
In diesen Punkt der Anti-Teleologie verweist auch die Technik von Georg Baselitz, Bilder durch Auf-den Kopf-Stellen „totzuschlagen“: Die normalen Orientierungsparameter, hier die Schwerkraft, wird außer Kraft gesetzt, der Gegenstand in eine andere Hemisphäre gerückt.

2.7 Rudiment
Das Grundprinzip der Ruinenarchitektur der Romantik ebenso wie der Architektur, die ihre Wirkung als Ruine schon in der Planungsphase miteinbezog ( Albert Speers´ Entwurf für das Reichsparteitagsgelände der NSDAP in Nürnberg), beruht auf der ausdünnbaren Redundanz von wiederkehrenden Bauteilen, wie z.B. Säulen in Reihe und Kreis.

2.8 Kompressionen
Auto-Kompressionen Césars der 60er Jahre

3.0 Inkongruenz in der Folienhaftigkeit
3.1 Ebenendivergenz
Gemeint ist eine Inkongruenz mehrerer sich in der Wahrnehmung überlagernder, auf denselben Gegenstand bezogener Proto-Gestalten unterschiedlicher Sinnesebenen, gewissermaßen als Folien. Die Proto-Gestalten lassen sich nicht mehr zu einer stabilen Endgestalt synthetisieren, da sie geometrisch, psychologisch usw. zu sehr differieren.
Der psychosensorische Homunculus des Menschen, also seine Selbstwahrnehmung durch Sinneszellendichte ist nicht deckungsgleich mit Volumen und geometrischer Oberfläche des Körpers, so dass sich der Mensch gewissermaßen selbst abwesend ist. Diesem verwandt ist das Phänomen der „intermonde“ Merleau-Pontys: Der Taststock des Blinden ist ihm „einverleibt“, Teil seiner Körper(selbst)wahrnehmung, die von der reinen Körpergeometrie differiert.
Das körperliche Werden, v.a. in der Pubertät und im Altern, wird als nicht sebstgesteuert empfunden, so dass Wille und Körper nicht mehr zusammenfallen, die „Ich“-Gestalt sich auflöst. Ebenso ist es mit dem Ich als Selbstentwurf, das sich selbst nie erreichen kann (Sartre: „hors de lui meme“), da Wesen stets gewesen ist (Hegel), also der Vergangenheit angehört.

3.2 Simultaneismus
Der Simultaneismus, der sowohl im synthetischen Kubismus Phase1 als Gleichzeitigkeit mehrer Ansichten eines Gegenstandes in einem Bild als auch im Futurismus als Gleichzeitigkeit mehrer Momentaufnahmen eines Bewegungsablaufs erscheint, ist eine zeitliche Folienhaftigkeit.
Duchamps: „Akt, eine Treppe herabschreitend“

3.3 Komplementarismus
Der Komplementarismus wurde im Futurismus entwickelt und meint das Sichdurchdringen unterschiedlicher Gegenstände in ihrer Darstellung im Kunstwerk.
Da dem Volumen eines Gegenstandes eine räumliche Funktion zugewiesen werden muß, die Verschränkung zweier Gegenstände die Abstandslosigkeit, also Kompression des Raumes ist, handelt es sich hier um eine räumliche Folienhaftigkeit. Später taucht der K. im Surrealismus wieder auf, aber in einer poetischen Variante, in der semantische Wechselbeziehungen aufgebaut werden, nicht allein syntaktische wie im Futurismus. Natürlich hat aber auch der syntaktische Komplementarismus eine metaphorische Interpretationsmöglichkeit.
Beispiele für einen semantisch ausdeutbaren Komplementarismus sind Picabias Arbeiten um 1930 und in der Folge Vajdas Arbeiten um 1934.

3.4 Mehrfachstrukturen
Strukturen erreichen nicht körperliche Dichte; daher sind unterschiedliche Strukturen miteinander kombinierbar, wobei diese jeweils unterschiedliche Eigenschaften, wie z.B. Sequenzen aufweisen können. Diese Eigenschaften können Gestaltcharakter haben (Größenverlauf=“Wachsen“, Farbverlauf=Lichteffekte usf.) und daher können Mehrfachstrukturen mehrere Gestalten ineinander weben, sich gegenseitig absentieren lassen.
Beispiele sind Calderaras Doppelstruktur und ein Werk aus meinem Schaffen als konkreter Künstler (die Bilder „256 Kreuze positiv, 212 negativ“, oder „4 simultane Strukturen“ oder die Doppelmäander-Bilder)

3.5 V-Effekt
Der Verfremdungseffekt, den u.a. Bertolt Brecht aber auch die Werbung als Interessensfesselungsmethode einsetzte, basiert auf Divergenz von Bezeichnung und Gegenstand, Zitat und seiner gegenüber dem Original verfremdeten Erscheinung. Bezeichung und Zitat müssen Bestandteil des gesamtkulturellen Codes sein, damit sie überhaupt nach einer Konfrontation mit einem anderen Gegenstand als den ursprünglichen noch als DIE Bezeichnung oder DAS Zitat wahrgenommen werden können.
s. „Ceci n´est pas une pipe“ von Magritte
s. „Dekonstruktion des schwarzen Quadrates“ von mir

3.6 Doppeldeutigkeit im Werk Duchamps
Wörter so zu verfremden, dass alte und neue Bedeutung sich gegenseitig durchwirken („Teekesselchen“) war bei der Titulierung von Duchamp Werken oft der Fall. So z.B....... Dieses korrespondiert mit Bildtiteln die direkt eine Ambiguität verdeutlichen, wie z.B. das Bild „Der Aufschub“ (s. letztes Zitat in c. Tomkins Biografie). Ein Aufschub ist ein Noch-Nicht, d.h. in der jetzigen Situation ist die kommende erahnbar, angedeutet, antizipert, um mit Bloch zu sprechen: Der Vorschein durchdringt das Jetzt.
Schon bei seinen Ready Mades, die Funktionsgegenstände mit neuen Bezeichnungen verbinden, ist eine sprachkritische, nominalistische Haltung zu erkennen, die sich in den eben genannten Werken auch finden lässt.
In den Ready Mades absentieren sich ein Funktionsgegenstand (=Gestalt) und seine Titulierung als Kunstwerk, die Bezeichnung eines anderen Gegenstands ist, gegenseitig (z.B. Funktionsgegenstand Pissoir und Titel „Fontäne“). Der Gegenstand ist durch musealen Rahmen und widerspruchsvoller Betitelung aus seinem Funktionszusammenhang genommen, um einen Heideggerschen Begriff zu verwenden: der Gegenstand als Zu-Handenes ist abwesend.
Aber auch die wechselseitige Entfunktionalisierung -und somit Absentierung im gestaltwahrnehmungstechnischen Sinne- zweier Gegenstände im Werk Rad auf Stuhl ist hier als folienhaftige Absentierung zu nennen.
Duchamps Schaffen kann in den Zusammenhang einer Gestaltwahrnehmungskritik, die mit einer Sprach- und einer Utilitarimuskritik einhergeht, gestellt werden.
Sehr deutlich wird die Utilitarismuskritik in Man Rays Bügeleisen: Nägel sind an die Unterseite des Bügeleisens angebracht, so dass das Gegenteil der ursprünglichen Zweckbestimmung erreicht werden würde bei Benutzung.

Eine Technik, die eine ähnliche „Stoßrichtung“ wie die oben bezeichneten hat, ist die der „Entwendung“ im Situationismus: ein Objekt wird einer anderen Nutzung als der althergebrachten zugeführt (vgl. Aufsatz in Katalog Werkbund Berlin)

3.7 Semantische Ambiguität
Das Stadtpalais von Palladio (?!, Palazzo Rustico) hat zwei Bedeutungsfolien in der Fassade (siehe alte Ausführungen hierzu).

3.8 Selbstdemaskierung des Kunstwerkes als Illusionsraum
Das Bild Maler und Akt von Magritte eröffnet einen Illusionsraum (der Maler) der seinen eigenen Illusionsraum ad absurdum führt, als illusionistisch entlarvt, wobei aber zur Konstitution der Desillusionierung die Illusion des Malers notwendig ist, da eine bereits als Illusion erkennbare Darstellung eine andere nicht desillusionieren, demaskieren kann. Es liegen also zwei Folien vor: Illusion als Desillusion und umgekehrt, denn die Desillusion durch den Maler ist ja eine Illusion, da alles nur auf der Bildfläche „passiert“. Ähnlich sind Werke von M.C. Escher usw..
Um die Illusion zu desillusionieren ist ein Ansatz von sichtbarer Illusion im Werk erforderlich. Die Illusion ist immer Gestalt, da nur ein einfach wahrnehmbares Schema wie die Gestalt anschauungshaft konterkariert werden kann.

Konkrete Kunst und Abwesenheit
Die konkrete Kunst hat den Anspruch, nicht auf einen Gegenstand außerhalb des Kunstwerkes zu referieren sondern nur sich selbst , also „konkret“ zu sein.

Nur ist jedes Aneinandergrenzen von Farbflächen schon mit „Interaktion“ (vgl. „The interaction of colour“, Josef Albers), im weitesten Sinne also mit einem illusionistischen, farbraumhaften Wechselwirken verbunden.

Jedes Bild ist zudem eine Festlegung auf eine bestimmte Größe, obwohl die Konstruktion in jeder Größe denkbar sein muß, wenn sie sich nicht auf den menschlichen Körper beziehen will.
Selbst das schwarze Quadrat oder ein Struktur-Netz ist dem Menschen alsbald eine Gestalt, ermöglicht also einen Rückbezug zur gegenständlichen Welt, wie sie unsere Gestaltwahrnehmung sich baut. Das schwarze Quadrat wäre in zig anderen als in der tatsächlich gemalten Größe denkbar, zudem wird niemals reines Weiß und reines Schwarz erreicht (vgl. mein Bild „Dekonstruktion des schwarzen Quadrates I“). Das Ölbild ist ein Abbild DES Schwarzen Quadrates. Erst durch eine Absentierung von Gestalt, durch Abwesenheit also wird konkrete Kunst, hier DAS Schwarze Quadrat, erst möglich. Eine Kunst völlig ohne Gestalt ist wohl nicht möglich, jedoch die Konterkarierung von Gestalt durch ihre Absentierung, durch ihr Nur-Noch-In-Spuren-Vorhandensein.
Gestalt wie Abbild sind mittelbar, vermittelt.
Alltagshafte, also über Gestalten vermittelte Anschauung und Abbildcharakter fallen in der Rezeption des Ölbildes „Schwarzes Quadrat“ zusammen und nicht wie eigentlich für die konkrete Kunst zu fordern: empiriokritizistische Anschauung und konkretes Dasein des Kunstwerks.

Bedeutung der Form der Abwesenheit
Die Form der Abwesenheit ist eine Konstellation von Einzelinformationen, die auf eine Gestalt verweisen, ohne sie in ihrer Gänze zu präsentieren, in eine Präsenz zu rücken. Die präsente Gestalt weist Redundanzen auf, die für die absente Gestaltform so auszudünnen sind, dass die Gestaltwahrnehmung die Gestalt noch als typologisches Schema rekonstruieren kann. Für dieses typologische Schema könnte man den Husserlschen Begriff des eidos verwenden. Die Abwesenheitsform ist also eine mediale Dekonstruktion der Gestalt, die auf einer Reduktion von Redundanzen beruht, also quasi eine Sektion ist ?).
Die aus der präsenten –zumeist individuellen- Gestalt herausgelösten Einzelinformationen bleiben als Mosaiksteine ambiguitätisch (?):
Teile der -erinnerten- Gestalt und Einzelinformationen. Durch Einführung der Ambiguität, Nichtisoliertheit, Transluzidität des in der Abwesenheitsform Wahrgenommenen wird die Be-Griffswelt des utilitaristischen Greifens ad absurdum geführt und ein nichtbegriffliches („nicht-greifendes“) Denken entworfen, das aber immer unerreichbar sein muß.
Die Entgrenzung der Körper, ihre Herauslösung aus der körperplastischen- und somit beGRIFFsfixierten Wahrnehmung, eine Metaphysik als Empiriokitizismus ist schon in der Inkongruenz von Selbstwahrnehmung (psychosensorischer Homunculus, siehe Abbildung) und rein geometrischer Körperoberfläche angelegt; die Tendenz zur Herausbildung von Abwesenheitsformen ist also quasi a priori gegeben. Zur Orientierung ist eine Gestaltwahrnehmung erforderlich, eine Zusammenfassung von Einzelinformationen zu handhabbaren Gruppen, die Unzulänglichkeit dieser Gruppen ist aber stets unterschwellig erfahrbar und findet ihren gestalterischen Ausdruck in Werken der Abwesenheitsform. Ästhetik als Lehre der Anschauungsformen für Wahrnehmung geht bis an dieses Ende: Die Auflösung der Orientierungseinheiten der Gestalten, die Herausbildung von Spuren, die die Unzulänglichkeit menschlicher Gestaltwahrnehmung und darauf basierendem Denken anschaulich darstellen, die weitestmöglich Annäherung zum Unbenennbaren, Ungreifbaren, ja vielleicht Undenkbaren.


Gestalt – Teleologie – Dekonstruktion - Reduktion


Aus der Kontingenz, aus der Überfülle der aus der Umgebung und aus dem eigenen Körper auf das Bewusstsein zuströmenden Sinnesreize filtert der Wahrnehmungsapparat des Menschen einen Bruchteil heraus; dieses ist Information im Neumannschen Sinne. In der Filterung, man könnte sagen „Nichtung“, ist die Teleologie angelegt.
Die herausgefilterten, aus dem Zusammenhang benachbarter Sinnesreize gerissenen aber bewusst gewordenen Sinnesreize (=Information) werden rekombiniert zu Gestalten. Dabei werden Informationen zusammengefügt aber auch vervielfacht (Redundanzen) um die Gestalt aus den Informationen zur rekonstruieren. Durch Gestaltwahrnehmung wird erreicht:
-Orientierung im Raum,
-Memorisierung über die Zeit hinweg (s. Virilio: „Die Ästhetik des Verschwindens“: Verschwinden als Lernmethode) und
-Funktionalisierung (Zuhandensein als Raumzeit).

Gestalten werden herausgeformt, kulturell oder archetypisch aber auch individuell kanonisiert und memorisiert.
Für die Herausformung von Abwesenheitsformen werden diese Gestalten dekonstruiert, d.h. analysierend, dem Weg ihrer Konstituierung rückverfolgend, in Einzelbestandteile zerlegt. Aus diesen werden überflüssige Redundanzen ausgesondert, die „Bruchteilsgestalt“ reduziert. Diese reduzierten Bruchteilsgestalten sind mediale Vehikel der ursprünglichen Gestalt, da sie noch Gestalt enthalten, also der Form-Welt angehören, aber nicht völlig als Ausgangsgestalt präsent sind.
Da der Gegenstand, die Gestalt nicht sichtbar-präsent ist aber dennoch rekonstruiert wird, erschließt sich einem in Anschauungsform das Prinzip der allgemeinen Konstruktion der Realität durch die Wahrnehmung in diesen Abwesenheitsformen.
Eine nicht plastisch-präsente Gestalt ist als eidos und nicht als Körper gegenwärtig und daher ungebunden an physische Zwänge frei kombinierbar mit anderen eidii (plural?). Eine eidetische Wahrnehmung ist letztlich strukturell. Sinnbild hierfür ist die Sprache, die die unendliche Verknüpfbarkeit von eidetischen Gegenständen ist, die einzeln aber letztlich aus dem Haptisch-Begrifflichen herrühren und nur in ihrer Verknüpfbarkeit über die Grifflichkeit ins Eidetische gelangen.
Bildende Kunst ohne Form ist unmöglich, jede Form ist Gestalt, die zu konterkarieren, also zu redundanzreduzieren ist, um auf die Beschränktheit der Gestaltwahrnehmung hinzuweisen, die Form der redundanzreduzierten Ausgangsgestalt (Abwesenheitsform) ist einzig mögliche Anschauungsform strukturellen Denkens, das sich gegen die iegene gestaltgebundene Wahrnehmung richtet und gleichzeitig Dekonstruktion der Gestaltwahrnehmung und ihrer Nichtung, Filterung ist. Gestalt ist häufig an biologische Gestalt gebunden, so dass Parallelen von sprachlichem und biologischem Code auftreten, v.a. in Bezug zu den Redundanzen. So ist ein biologischer Körper aus unzähligen Redundanzen aufgebaut, was ihn überlebensfähig macht bei Ausfall z.B. eines doppelt vorhandenen Organs oder einer Hand. Ursprünglich entstand die Redundanz durch den Vorgang sich duplizierender Zellen und ihre wechselseitige Funktionsabgrenzung, wodurch sie ihren Platz, ihre Wertigkeit im Gesamtzusammenhang erhalten. Ähnlich ist es mit der Sprache und ihren Begriffen, wohl weil beides auf biologisches (Über-)Leben fokussiert.
Die Redundanzen ermöglichen ein Memorisieren und Kommunizieren von Gestalt (wieso?).
Eine wesentliche Eigenschaft der Abwesenheitsform ist Ambiguität: sie ist selber abwesend und kennzeichnet nicht nur die Abwesenheit eines Gegenstandes, da sie in dem Augenblick, in dem sie Trägerspur des Abwesenden ist von dem Rekonstruktionsbild des Abwesenden in ihrer Präsenz verdrängt wird. Beides überlagert sich folienhaft. Sie ist Anschauungsform für etwas Unanschauliches in dem Sinne, dass auf den reinen Konstruktionscharakter von „Realität“ hingedeutet wird, da die Gestalt rekonstruiert wird und die Realität der Spur dahinter verschwindet.
Die Redundanzen ergeben sich aus folgenden Aspekten der Gestalt:
-die Summe, die Silhouette, die Gesamtheit, das Programm usw. von Gestalt stehen kanonisiert, sei es archetypisch oder kulturell fest.
-der Bezug des Menschen zur Gestalt basierend auf Raumorientierung, Memorisierung und Funktionalisierung steht fest und ist quasi die Negativform der Gestalt, die sie umgibt.

Bei Abwesenheitsformen muß nicht notwendigerweise der Gegenstand rekonstruierbar sein, so ist er es bei dem Werk Duchamps (Knäuel zwischen Blechtafeln mit innerem Gegenstand) nicht. Jedoch kann er einer Kategorie von Gegenständen zugeordnet werden (Größe, Gewicht, Klang usw.), so dass die nächst höhere Gestaltebene und somit ein noch höherer Typologisierungsgrad und somit Konstruktionsgrad aufgezeigt wird. Gestalt wird botanisiert, bei immer weniger körperlicher Präsenz. Die Kunst wird immer konzeptueller, will heißen: nur noch ein Konzept zur körperlichen Welt liegt in der Wahrnehmung vor. Die herkömmliche Concept-Art ist mehr Projektplanung und somit Modell der Realität wie es die herkömmliche Wahrnehmung ist; die abwesende konzeptuelle Kunst dagegen konzipiert nicht ein Kunstwerk in der Realität sondern Realität selber.

Je nach Art der Reduktion von Redundanzen können unter den Redundanzen selber Unterteilungen vorgenommen werden (MACHEN!!!! S.O.!!)
Auch kann je nach Art der Reduktion zwischen kulturell und archetypisch kanonisierten Gestalten unterschieden werden (wirklich?!)

Dfür Zoologie der Abwesenheitsformen:
GGf. Matrix:
-3 Formen der Gestaltentstehung (Orientierung, Memorisierung, Funktionalisierung)
-X Formen von Gestalten
-Y Formen von Absentierung
diese drei Unterarten in Matrix koppeln + Beispiele

Codierung von Gestalt
Aus der Kontingenz werden herausgefilterte Einzelinformationen zu einer Gesamtheit gefügt, die einen OberbeGRIFF erhält, der in der Regel auch in einen sprachlichen Namen mündet. In der Regel stehen die Einzelinformationen in der Realität tatsächlichen in einem systematischen Zusammenhang, z.B. dem eines Körpers. Jedoch fügt die Gestaltwahrnehmung auch nicht zusammengehörende Einzelinformationen zu Gestalten zusammen. Schon in der Bildung von memorisierbarer Gestalt ist ihre Abwesnheit gegeben: die völlige Reduktion von Redundanz in Form des Namens, des Begriffs, danach folgt das Symbol (symbolon), dann schlißlich eidos (die Idee, gewissermaßen ein Gattungsbild) mit jeweils immer mehr Redundanz. Das symbolon, also das komplementäre abgebrochene Ende eines Astes, deutet schon in seinem ethymologischen Ursprung den engen Zusammenhang zur Gestalt an.

Abwesenheitsform und Abstraktion sowie Symbolon.
Es stellt sich die Frage, wann es sich um eine Abwesenheitsform und nicht mehr nur um eine Abstraktion oder ein Symbol handelt.
Hierfür gibt es zwei Kriterien:
1) das „eidos“ wird unabhängig von einer Überindividuation vermittelt
2) es gibt keine das Haptische ansprechende plastische GEGENwart mehr, keinen GEGENdruck; die von der Spur angeregte, erinnerte Vorstellung vom Gegenstand ist von Bewegungsvorstellungen, Nutzungsvorstellungen „bereinigt“. Es liegt ein gegenwartsloses also entrücktes, memorisiertes Schema vor, das zumeist einen überwiegend optischen Charakter hat (vgl. Optische und Haptische Vorstellungen in „Das Problem der Form“ von Adolf von Hildebrandt). Dieses Schema entbehrt Plastizität, also feste greifbare Oberflächenbegrenzungen, so dass der Gegenstand durchsichtig wird auf die Realität als undurchdringliche Kontingenz: Die Spur löst ein Erinnern von Gestalt aus, die schwebend vor der Spur durchsichtig wird auf ihre Unzulänglichkeit, also auf die in die Kontingenz verwobene Idee des Gegenstandes ohne –plastische und individuelle-Gestalt.

Ein Zeichen (Symbolon) stellt in seiner Isoliertheit eine Übergestalt dar, das sich zumeist ohne kulturelle Vermittlung nicht erschließt. Gerade aber der a priori-Charakter der Gestaltwahrnehmung, die es zu konterkarieren gilt, um ihre Unzulänglichkeit aufzuzeigen, macht deutlich, dass es sich bei Zeichen und Abwesenheitsform um völlige verschiedene Ebenen handelt. Die Abstraktion ist zwar eine Reduktion von Redundanzen aber noch zu nahe an der Gestalt, da auch sie nicht auf klare äußere Begrenzung verzichtet und auf eine Restindividualität.

Gestaltwahrnehmung und Dekonstruktion
Da sich weder dimensionsbezogen zum immer kleineren noch zum größeren Wahrnehmungszusammenhang („Gestalt“) von Reizen Grenzen der Relevanz aufzeigen lassen, ist weder für Gestalt noch ihre Dekonstruktion im Allgemeinen eine endgültige, abschließende Ebene wählbar, so dass letztlich Gestalt nicht als reines Wahrnehmungskonstrukt gebrandmarkt aus einem phänomenologisch-deduktiven Ansatz entfernt werden dürfte; nur ist das zwanghaft Fuktionale (man könnte sagen „Zu-Handene“) das zu Hinterfragende. Dieses Hinterfragen erfolgt durch Absentierung von Gestalt, ein Entrücken ins Nicht-Mehr-Haptische, Präsente. Die Gestalt wird durch Absentieren in den Raum von Möglichkeit „verschoben“. Im Zusammenhang des „Zu-Handenen“ ist sie von nur beschränkter Möglichkeit. Die absolute Möglichkeit in der Abwesenheitsform ist ein Spannungsfeld zwischen Herkunft bis Entwicklungspotential in räumlicher Unfixiertheit, zumeist ohne Maßstabsbezug, dieses alles in einer Vernetzung mit der Umgebung. Nur so ist Deduktion (also eine Existenz ohne permanentes auf Sich-Selbst-Reflektieren) möglich.
Denken muß sich als Ästhetik, als das Herausformen von (Nur-)Anschauungsformen für etwas letztlich Unanschaulich-Ungreifbares-Unwahrnehmbares begreifen, um Denken zu bleiben.

Zu meinen Textgebilden

Das sich durch alle Buchstabenkonstruktionen der vorliegenden Sammlung durchziehende Merkmal ist das des Simultaneismus: zwei –für das alltägliche Wahrnehmen normalerweise getrennte- Dinge sind gleich“zeitig“ an einer Stelle auf dem Papier bzw. in ihren Bedeutungen ineinanderverwoben.

Der Simultaneismus ist ein Hauptmerkmal der Moderne, z.B. als:
-Mehrfachbelichtungsfotografie
-Synthetischer Kubismus Phase 1 (mehrere Ansichten eines Gegenstandes werden ineinander verwoben)
-Darstellung von Körpern als positive und negative Form (Archipenko, Calders Drahtfiguren, die „transparencies“ von Lipchitz)
-Verwebung von Text und Bild (Picasso, Appollinaire, Klee) usw. usw..

Jeder Simultaneismus läuft der alltäglichen Wahrnehmung in abgeschlossenen und nebeneinander plazierten Gestalten zuwider. „Das Eine ist im Anderen und das Andere in Einem“ (Goethe). Somit kommt eine Komplexität der Aussage zustande, die dem Haptischen, Utilitaristischen des Gebrauchs von Be-Griffen ein simultanes Zeichensystem entgegensetzt, das die Rekombinierbarkeit des Betrachteten wie des Begriffes betont. Die ehemals abgeschlossenen Gestalten, Be-Griffe sind nur noch spurenhaft vorhanden, konterkariert, in ein zusätzliches Umfeld verwoben.

Dieser Simultaneismus kann folgende Formen annehmen:

1) Synthese von Bild und Begriff, auch z.B. Farbe im Text (z.B. Leertext in Form eines elektrischen Schaltplans: „der die das“)

2) nichtlineare Les-Tast-Bewegung der Augäpfel über dem Text („Choreographie“) und Begriff („zentrifugal-zentripetal“ und „bergson-ett“)

3) Redundanzreduktion des Begriffes hin zu Ab- und Verkürzungen, die den Ge-staltcharakter des Begriffes sichtbar machen: aus einer Begriffsspur wird das ursprüngliche, nichtreduzierte Wort rekonstruiert, mitunter entstehen dabei Doppelbedeutungen (z.B. „ich bin redundant“)

4) scheinbare Divergenzen von Text („Titel“) und zugehörigem Bild („Bezeichnetes“) als Herauslösung des Wortes aus dem oberflächlich gewohntem Gebrauch (siehe z.B. „Punkt – Linie – Fläche“ oder „komplementäre synästhesie“, bei dem das wort grün in rot geschrieben ist)

5) Prozeßhaftigkeit durch Endlos-Schleifentexte und Begriffe („durch drehung nach aussen...“)

6) Überschreibungstextgebilde (siehe „er – sie – es“ und „umlaufbahn“ sowie „komplementäre synästhesie“ no. 2 und 3)

7) wechselseitiges Konterkarieren zweier Teppichtexte (siehe „konterkarieren“ und „gestalt – schnitt“ oder „trinitas“ oder „a-ort-a“)

8) Unterbrechung des Wortflusses als Wechsel von Lauten und Stille (siehe „wackelkontakt“), wobei die Leerstellen in ihrer Verteilung ebenfalls Information enthalten.

9) Matritzengedicht: Textteile werden in mannigfaltiger Kombinierbarkeit, z.B. in einer Art Drehmechanismus, einander gegenübergestellt (siehe „dem unbekannten neo-logo“ oder „ur-anti-or-pro-synthese“)

10) die Begriffe bilden Hohlräume als Platzhalter oder Wegmarkierungen („bauch-wiege-laufstall...“ oder „einleibung – entleibung“

11) ein Prozeß führt zur Auflösung des Textes und Bildes hin zu einer völligen Abstraktion, die eine Art Quintessenz des Ganzen darstellt (z.B. „flucht . “)

12) der Blattrand wird zur Information („m-e-t-a-„physik.“ und „noch nicht – nicht...“ und „die information ist in der Schnittkante...“)

Somit sind diese Textgebilde eine Art „Entwendung“ von Begriffen aus dem herkömmlichen Sprachgebrauch, der den praktischen Gebrauch von Objekten simuliert, hin zu ungeahnten Bezügen.

Idee und Werk - Die Ästhetik der Abwesenheit

Meine Werke sind von ihrer äußeren Gestalt her sehr unterschiedlich; jedoch basieren alle auf einer Ästhetik der Abwesenheit.
Ausgehend von der Schopenhauerschen Ästhetik der Anschauungsformen für Wahrnehmung ist die ideelle Basis meiner Malerei eine Ästhetik der Anschauungsformen für konterkarierte Gestaltwahrnehmung.
Mein werkbericht zeigt, dass diverse Anschauungsformen der Abwesenheit von Gestalt aus ein und derselben Idee der Konterkarierung von Gestaltwahrnehmung entspringen können. Es geht mir nicht darum, unzählige „stilistisch“ homogene Werke als Varianten einer bloßen Form zu produzieren.
Gestaltwahrnehmung ist die Zusammenfassung von Sinnesreizen zu Informationen, zu abgegrenzten Figuren, Kategorien, eben: Gestalten. Ohne die Gestaltwahrnehmung kann man die Fülle der auf einen einströmenden Sinnesreize nicht zu nutzbaren Einheiten umformen.
Jedoch sollte nie die Summe aller Gestalten der Gestaltwahrnehmung mit der Realität verwechselt werden, das Denken sollte sich stets als Konstruktion von Realität begreifen und sich seiner Unzulänglichkeit bewusst sein. Dadurch kann die Realität als Undurchdringlichkeit zumindest erahnt werden.
Konterkarieren der Gestaltwahrnehmung meint: Absentieren von Gestalten der Gestaltwahrnehmung, also das Auflösen, das Reduzieren der plastisch-präsenten Gestalten hin zu Restspuren derselben, in der die Gestalten nur noch erahnt werden können, in der diese also „abwesend“, absentiert sind. Diese Reduktion von Gestalten ist nur möglich durch die Redundanz innerhalb einer Gestalt:
z.B. kann die zweite Hälfte eines symmetrischen Körpers weggelassen werden, so dass doch der Informationsgehalt für die Wahrnehmung rekonstruierbar wäre – aufgrund eines Fundus von erinnerten Gestalten. Auflösung absoluter Zustände im Werk (Präsenz) durch Aussonderung von Redundanzen in der Gestalt ist Absentierung.
Dadurch, dass Gestalten absentiert werden, werden sie erst als Schemata der Wahrnehmung bewusst gemacht:
Wenn unsere Wahrnehmung aus Restspuren von Gestalt diese Gestalt rekonstruiert, so ist klar zur Anschauung gebracht, dass die Wahrnehmung Realität konstruiert; die Spur von Gestalt ist nicht die Gestalt, trotzdem erscheint die Gestalt in der Wahrnehmung. Also wurde verdeutlicht: Unser Bezug zur Realität ist die Konstruktion der Realität in der Wahrnehmung durch Gestalten und nicht die Realität selber: wenn Gestalt nur bruchstückhaft-absentiert im Kunstwerk dargestellt ist, aber in der Wahrnehmung rekonstruiert-präsent ist, scheint die undurchdringliche Seinsfülle (Kontingenz) hinter dem als Netz, als Konstruktion der Wahrnehmung entlarvten Gestaltprinzip hervor.
Der Eindruck des Sich-Entziehens der Realität ist dabei gewissermaßen dialektisch: der Gegenstand des Interesses (Teleologie), also die Gestalt, die zur Spur gehört, ist nicht da, wird anvisiert und entzieht sich gleichzeitig, da sie nicht präsent ist. Sie ist gewissermaßen als eidos, als Idee, als Gattungsbegriff da, als rein Geistiges ohne plastische Präsenz. Gleichzeitig aber divergieren gedachte Gestalt und gesehene Spur: die Wahrnehmung nimmt sich selber als das die Wirkungsrealität konstituierende tätige Prinzip wahr.

Die Realität entzieht sich auf doppelte Weise: erstens bleibt nur das rein Geistige, die Konstruktion von Realität im Kopf, die nun als Konstruktion erkannt wird; zweitens ist die anvisierte Gestalt nicht da. Es gibt keine das Haptische ansprechende plastische GEGENwart mehr, keinen GEGENdruck; die von der Spur angeregte, erinnerte Vorstellung vom Gegenstand ist von Bewegungsvorstellungen, Nutzungsvorstellungen „bereinigt“. Es liegt ein gegenwartsloses also entrücktes, memorisiertes Schema vor, das zumeist einen überwiegend optischen Charakter hat (vgl. Optische und Haptische Vorstellungen in „Das Problem der Form“ von Adolf von Hildebrandt). Dieses Schema entbehrt Plastizität, also feste greifbare Oberflächenbegrenzungen, so dass der Gegenstand durchsichtig wird auf die Realität als undurchdringliche Kontingenz:
Die Spur löst ein Erinnern von Gestalt aus, die als konstruierte Unzulänglichkeit vor der Spur schwebend durchsichtig wird auf die in die Kontingenz verwobene Idee (eidos) des Gegenstandes ohne –plastische und individuelle-Gestalt und Greifbarkeit. Alle Wahrnehmungsschemata lösen sich auf, da sie als solche erkannt werden. Absentieren von Gestalt ist ein Versuch des Zurück-zu-den-Dingen durch den immer scheiternden Versuch, den Schematismus der Gestaltwahrnehmung zu überwinden. Scheitern muß er, da Wahrnehmung ohne Gestalt nicht möglich ist.

Gestaltwahrnehmung und Dekonstruktion
Da sich weder dimensionsbezogen zum immer kleineren noch zum größeren Wahrnehmungszusammenhang („Gestalt“) von Reizen irgendwelche Grenzen der Relevanz aufzeigen lassen, ist weder für Gestalt noch für ihre Dekonstruktion im Allgemeinen durch Abwesenheitsform eine endgültige, abschließende Ebene wählbar, so dass letztlich Gestalt nicht als reines Wahrnehmungskonstrukt gebrandmarkt aus einem phänomenologisch-deduktiven Ansatz entfernt werden dürfte; nur ist das zwanghaft Funktionale (man könnte sagen „Zu-Handene“) das zu Hinterfragende. Dieses Hinterfragen erfolgt durch Absentierung von Gestalt, ein Entrücken ins Nicht-Mehr-Haptische, Präsente.
Die Gestalt wird durch Absentieren in den Raum von Möglichkeit „verschoben“. Im Zusammenhang des „Zu-Handenen“ ist sie von nur beschränkter Möglichkeit. Die absolute Möglichkeit in der Abwesenheitsform ist ein Spannungsfeld zwischen Her-kunft bis Entwicklungspotential in räumlicher Unfixiertheit, zumeist ohne Maßstabs-bezug, dieses alles in einer Vernetzung mit der Umgebung. Nur so ist Deduktion (also eine Überwindung des permanenten auf Sich-Selbst-Reflektierens des Betrachters) möglich.
Denken muß sich als Ästhetik, als das Herausformen von (Nur-)Anschauungsformen für etwas letztlich Unanschaulich-Ungreifbares-Unwahrnehmbares begreifen, um Denken zu bleiben. Es kann und darf keinen Wahrheitsanspruch vertreten. Das Absentieren von Gestalten ist ein Verweisen auf die Unzulänglichkeit der Gestaltwahrnehmung also unserer Konstruktion von Wirklichkeit, auf die Undurchdringlichkeit der Realität, auch der Realität des konkreten Kunstwerks; Empiriokritizismus, Nominalismus, Strukturalismus, philosophischer Konstruktivismus, Phänomenologe markieren die Eckpunkte des Denkens, aus dem diese künstlerische Position hervorgeht.

Konkrete Kunst und Abwesenheit
Die konkrete Kunst hat den Anspruch, nicht auf einen Gegenstand außerhalb des Kunstwerkes zu referieren, sondern nur sich selbst , also „konkret“ zu sein.
Die Absicht des „Zurück-zu-den-Dingen“ zeigt die Parallelen zwischen der Entwicklung der Phänomenologie in der Philosophie und der konkreten Kunst nach dem ersten Weltkrieg auf. Man war der Überliterarisierung, der Typologisierung müde geworden, sie hatte sich als Konvention zwischen Realität und Wahrnehmung gestellt. Ein Zurück zu den Dingen, Deduktion wurde gefordert; in der konkreten Kunst setzte sich die Tendenz zur Auseinandersetzung mit Farbe, Fläche, Propor-tion, Konstruktion als Gegenstände der Wahrnehmung und somit mit der Wahr-nehmung selbst, fort. Jedoch ist schon jedes Aneinandergrenzen von Farb-flächen mit „Interaktion“ (vgl. „The interaction of colour“, Josef Albers), im weitesten Sinne also mit einem illusionistischen, farbraumhaften Wechselwirken verbunden.
Helle und große Formen neben anderen wirken nah usf..
Jedes Bild ist zudem eine Festlegung auf eine bestimmte Größe, obwohl die Kon-struktion, die Idee des Werkes in jeder Größe denkbar sein muß, wenn sie sich nicht auf den menschlichen Körper als Bezugsgröße beziehen will und somit wieder Inter-aktion schaffen würde. Selbst das Bild „Schwarzes Quadrat“(Malewitsch, 1915) ist dem Betrachter eine Gestalt, ermöglicht also einen Rückbezug zur gegenständlichen Welt, wie sie unsere Gestaltwahrnehmung sich baut. Die „Körper“ der Ölbilder treten in Interaktion mit dem Betrachter. Das Bild „Schwarzes Quadrat“ wäre in zig anderen als in der tatsächlich gemalten Größe denkbar, zudem wird niemals reines Weiß und reines Schwarz erreicht (vgl. mein Bild „Relativierung des schwarzen Quadrates“). Der weiße Rand ist willkürlich gewählt. Das Quadrat ordnet sich dem vertikal-horizontalen Orientierungssystem des Menschen ein. Das Ölbild von Malewitsch ist letztlich ein physisches Abbild der Idee DES Schwarzen Quadrates. Gestalt wie Abbild sind mittelbar, vermittelt, nicht konkret, nicht die Idee, das eidos des Quadrates selbst. Malewitsch spricht jedoch immer von DEM Quadrat („Das grundlegende suprematistische Element – Das Quadrat“, Bauhausbuch 11, 1927), auch „Das schwarze Quadrat...“ in „Suprematismus. 34 Zeichnungen“, Lithografie-heft, Witebsk 1920), also dem eidos des Quadrates im Allgemeinen. Er scheint die-sen Wider-spruch bemerkt zu haben, denn er malte 3 Jahre nach dem schwarzen Quadrat das gleichformatige Bild „Suprematistische Komposition: weiss auf weiss“ (1918), in dem ein weißliches Quadrat auf weißlichen Grund ohne sichtbaren Bezug zum Bildrand, schräg angeordnet ist. Hier ist die Quadratform in eine Spurenhaftig-keit gerückt, die Form hat keinen Bezug zum vertikal-horizontalen Ordnungssystem der Wahrnehmung mehr. Es ist eine absentierte Quadratform. Dieses Bild gehört in eine Reihe von Bildern in denen sich Form und Grund farblich annähern, ja ineinan-der auflösen (vgl. „Suprematismus (Konstruktion in Auflösung)“, 1918).

Erst durch eine Absentierung von Gestalt, durch Abwesenheit also wird konkrete Kunst, hier DAS Quadrat, erst möglich. Eine Kunst völlig ohne Gestalt ist wohl nicht möglich, jedoch die Konterkarierung von Gestalt durch ihre Absentierung, durch ihr Nur-Noch-In-Spuren-Vorhandensein. Alltagshafte, also über Gestalten vermittelte Anschauung und Abbildcharakter fallen in der Rezeption des Ölbildes „Schwarzes Quadrat“ zusammen und nicht wie eigent-lich für die konkrete Kunst zu fordern: empiriokritizistische Anschauung und konkretes Dasein des Kunstwerks. Konkrete Kunst ist nicht realisierbar, da immer Illusionistisches bleibt; jedoch könnte man Kunstwerke als „konkret“ bezeichnen, wenn die Absicht des Künstlers erkenn-bar wird, „Konkretes“, also nur sehr wenig mit Illusionistischem belastete Kunst zu machen.
Geometrische Formen sind stets Gestalten, wenn sie in einer bestimmten Abmes-sung, einer bestimmten Farbe, einer bestimmten Fixierung mit dem Umgebungs-raum dargestellt werden. Sie haben dann immer auch haptische Qualität, sogar funktionale als Orientierungspunkt. Um zum „reinen“ eidos zurückzukehren, wird die Abwesenheitsform in die konkrete Kunst eingeführt, diese wird zur Kunst der konkre-ten Idee, also Idee mit reduzierter haptischer Individualität, die immer noch durch das materielle Werk, durch den nach wie vor vorhandenen Darstellungscharakter hervor-gerufen wird. Wenn nach dem Mathematiker Neumann Information (man könnte sagen Gestalt im weitesten Sinne) die Nichtung von „überflüssigen“ Daten durch das beGREIFENde Denken ist (abertausende Reize strömen auf unseren Sinnesapparat ein, wenige davon gelangen durch die Filterung ins Bewusstsein) so ist Erahnung der Seinsfülle, der undurchdringlichen Kontingenz nur durch Nichtung dieser Nichtung des begreifenden Denkens, das auf der Gestaltwahrnehmung basiert, möglich, also Abwesenheit (vergleiche: „Negative Dialektik“ Adornos). Vielleicht auch im Rausch (dionysisches Prinzip). Information ist immer mittelbar, durch das begreifende Denken vermittelt, nie das unmittelbar Gegebene. Gegenüber der Umwelt erscheint konkrete Kunst als Ort der Ausdünnung von Sinnesreizen, als relative „Stille“ und „Leere“, als Absentierung der Seinsfülle, die einen tagtäglich umgibt. Die Elemente, in der sich Realität vermittelt (Formen, Farben etc.) sind in -verglichen zur Umwelt- einfache Bezüge zueinander gesetzt. Schon allein dadurch ist in konkreter Kunst Spurenhaftigkeit von Realität gegeben, die auf die Realität verweist. Durch feine Unterschiede wird Wahrnehmungssensibilität gefördert.
Der künstlerische Konstruktivismus ist eine Metapher, ja Anschauungsform für den philsophischen Konstruktivismus, der unser „Weltbild“, unseren Realitätsbegriff als Konstruktion entlarvt, der die Sprache nominalistisch in Frage stellt. Die strukturelle Malerei eine für den philosophischen Strukturalismus; beide stellen einen Versuch der Loslösung von Gestaltwahrnehmung dar. Auch ist der goldene Schnitt als nur annäherungsweise errreichbares Ideal-verhältnis zweier Strecken zueinander eine Metapher für Nichterreichbarkeit von Idealtypen, also Wahrnehmungsschemata. Neben der Absentierung von Gestalt im Kunstwerk ist auch eine Absentierung des Künstlers selbst aus dem Kunstwerk gegeben: das konkrete Kunstwerk enthält -theoretisch- keine individuelle Handschrift des Künstlers, keinen Subjektivismus mehr, jedoch bleibt der Künstler immer hinter dem Werk erahnbar, abwesend.
Mit dem Ausbleiben von Subjektivismus einher geht das Prinzip der Notwendigkeit (Kantscher Systembegriff): nichts ist zufällig, willkürlich, nichts kann entfernt oder hinzugefügt werden, da alles zusammen ein System bildet. Da aber wie gesagt auf der Ebene der Kommunikation, die die Kunst ja ist, Redundanzen aus der Gestalt ausmerzbar sind, ohne die Grundinformation der Gestalt inkommunizierbar zu machen, ist die Form der Abwesenheit der Gestalt ein System auf der Ebene der Kommunikation, aus dem nichts mehr entfernt werden kann, hinzugefügt nur bis zu dem Grad, wo die Ursprungsgestalt wieder plastische Präsenz gewinnt, was nicht gewollt ist. Der Begriff der Anschauungsform ist direkt ableitbar aus Paragraph 4 des Manifestes der konkreten Malerei aus 1930: „La construction du tableau, aussi bien que ses éléments, doit être simple et contrôlable visuellement.“ Unanschauliche Illustrationen mathematischer Formeln sind visuell nicht mehr kontrollierbar, sind keine Anschauungsform.
Als eigentlicher Gegenstand der Kunst ist die Herausbildung von Anschauungs-formen für Wahrnehmung ausgemacht. Anschauungsform für selbstkritische Wahrnehmung, die immer Gestaltwahrnehmung bleibt, also konterkarierte Gestaltwahrnehmung, ist die der Abwesenheitsform, der „Spur“, wodurch Gestaltwahrnehmung erst als Konstruktion von Realität erkennbar wird. Die Ästhetik der Abwesenheit richtet sich gegen die hermetische Banalität des Typologismus der Gestaltwahrnehmung, gegen das heutige Primat des Plastisch-Präsenten, der Begriff der Notwendigkeit aus dem Kantschen Systembegriff gegen die Banalität aus Beliebigkeit und Willkür.

Fugitive Interaktion von Form - Die Serie der Doppelmäander in meinem Werk

1.0 Die Konstruktion der Doppelmäander
1.1 Der Begriff Doppelmäander
Alle Mäander folgen in ihrer Breitenentwicklung einer jeweiligen Zahlenreihe (siehe Tabelle am Ende). Zwei Mäander sind ineinanderkonstruiert zu einem Doppelmäander: der eine Mäander formt den anderen und der andere den einen, so dass das folgende Goethe-Zitat angebracht scheint: „Das Eine im Anderen und das Andere im Einen“. Je nach Stufe in der Zahlenreihe kann man zwischen Stufe 1 (nur die erste Zahl der Zahlenreihe), Stufe 2 (die beiden ersten Zahlen der Zahlenreihe) usw. unterscheiden. Jedes Bild basiert also auf Zwangsläufigkeit (ist das Programm erst einmal gewählt); nichts ist zufällig, nichts kann weggenommen oder hinzugetan werden: es handelt sich um ein System im Kantschen Sinne.

1.2 Die zwei Unterserien der Gesamtserie: „dm lang“ und „dmk“
Die Gesamtserie der Doppelmäander umfasst zwei Unterserien: In der ersten Unterserie der sogenannten dm lang - Bildern (Doppelmäanderlangbilder) wird für jede Stufe von 1 bis 8 der jeweilige Doppelmäander entwickelt; es entsteht so eine Art filmischer Sequenz, in der sich das Thema zu einer (Doppel-)Gestalt entfaltet. In dieser kann die Konstruktion der Doppelmäander am besten nachvollzogen werden. In der zweiten Unterserie der dmk- Bilder (Doppelmäander-Kontrapunkt) wird für die Stufen 6, 8, 10 jeweils ein Triptychon (dmk 1 bis dmk 7), ggf. auch ein „Quatrychon“ (dmk 8 und 9) gebildet. Es gibt 9 dm lang – Bilder, jeweils für die neun erwählten Zahlenreihen ein langes Bild. Es gibt 27 dmk – Bilder, für jede der neun Zahlenreihen jeweils für die drei Stufen 6, 8 und 10 ein Bild (9 x 3 = 27). Insgesamt umfasst die Gesamtserie der Doppelmäander also 36 Bilder.

1.3 Der Begriff des „Tripeltriptychon“ und des „Tripelquatrychon“ in der Unterserie der dmk-Bilder
Da die Stufen 6, 8 und 10 innerhalb einer Zahlenreihe insgesamt drei Stufen sind und für jede dieser Stufen ein Triptychon/Quatrychon in der dmk-Serie gebildet wird, kann man diese drei aufeinander bezogenen Stufenbilder zusammen einen „Tripeltriptychon“ bzw. einen „Tripelquatrychon“ nennen. Drei dmk-Bilder zusammen bilden also eine Tripelserie, man kann also die 27 dmk-Bilder zusammenfassen zu 9 Tripelserien (27 : 3 = 9 ). In einem Triptychon werden aus einem mittigen Ausgangsdoppelmäander zwei Seitenteilbilder gebildet, daher also drei Teilbilder und der Begriff Triptychon. Die zwei Seitenteilbilder nehmen wie beim klassischen Triptychon Bezug auf die Mitte, da sie durch Redundanzreduktion aus dem mittigen Doppelmäander gebildet werden. In einem Quatrychon werden aus einem Ausgangsdoppelmäander drei Folgebilder durch Redundanzreduktion gebildet.

1.4 Der Begriff der Redundanzreduktion
Eine Gestalt weist Redundanzen, also Mehrfachabsicherungen einer Information auf. So ist der menschliche Körper symmetrisch, d.h. man könnte z.B. in einem Abbild die linke Hälfte des Körpers weglassen, ohne das die Information „menschlicher Körper“ verloren ginge. In einem Satz könnten Buchstaben oder auch Wörter wegfallen; ein Leser könnte dennoch den Inhalt rekonstruieren.

In der Doppel-Gestalt der Doppel-Mäander sind natürlich enorm viele Redundanzen: ein Mäander ist zweimal da. Außerdem weist in der dmk-Serie jeder Mäander entweder eine Entwicklung von Stufe (1) bis (6 / 8 / 10) bis zurück zu (1) auf oder umgekehrt von (6 / 8 / 10) zu (1) bis zurück zu (6 / 8 / 10) auf. Jede Fläche innerhalb eines Mäanders wird in ihrer Breitendimension von der jeweiligen Zahl der Zahlenfolge (vor- oder rückwärts orientierte Zahlenfolge) dieses Mäanders bestimmt, in der anderen Dimension jedoch von dem jeweils anderen Mäander und seiner jeweiligen Zahl aus seiner Zahlenfolge (rück- oder vorwärts orientierte Zahlenfolge).

Redundanzreduktion heißt, dass diese Redundanzen der Doppel-Gestalt des Doppelmäanders teilweise ausgesondert werden; es entsteht eine Art „Spur“ der Ausgangsgestalt. Diese „Spur“ nenne ich auch „Abwesenheitsform“. Diese „Spuren“ oder auch Anschauungsformen für Abwesenheit der Ausgangsdoppelmäander befinden sich in den Seitentafeln (dmk 1 bis dmk 7), in einer Folge (dmk 8) oder um die Ausgangsgestalt kreisförmig herum (dmk 9). Ich habe eine Ästhetik der Abwesenheit verfasst, die am Ende abgedruckt ist. Kurz umrissen geht es in dieser Ästhetik darum, dass die alltagshafte, vereinfachende Gestaltwahrnehmung aus den Spuren in den Bildern die Ausgangsgestalt herauslesen soll, damit die Idee unabhängig von einer individuellen Manifestation der Idee (=Gestalt) deutlich und die Gestaltwahrnehmung als konstitutives Element der Wahrnehmung sichtbar werde.

1.5 Die Programme der Doppelmäander – die Gestaltungsmatrix
Die Programme der Doppelmäander-Bilder werden vor der Konstruktion und Ausführung als Gemälde verfasst. Die textlichen Fassungen dieser Programme befinden sich am Ende des Kataloges, im Abbildungsverzeichnis. Es ergeben sich folgende Wahlmöglichkeiten (=Gestaltungsmatrix) für die Konstruktion eines Doppelmäanders sowie eines dmk-Triptychons bzw. dmk-Quatrychons:

1.5.1 die Wahl der Zahlenfolge (siehe Zahlentabelle !)

1.5.2 die Wahl der Lagerung der beiden Mäander ineinander:
-dmk 1: der eine Mäander immer innerhalb des anderen geführt, ab der Mitte dann Rollenwechsel
-dmk 2: der schwarze Mäander nur an der rechten Seite entlanggeführt, der weiße nur an der linken
-dmk 3 wie 1, aber anderer Rollenwechsel
-dmk 4: ein Mäander mal rechts oder links entlanggeführt
-dmk 5: ein Mäander nur in der Mitte
-dmk 6: beide Mäander bis an beide Seiten geführt
-dmk 7: beide Mäander bis an eine Mittelachse geführt
-dmk 8: ein Mäander nur mittig und auf kleinste Breite reduziert
-dmk 9: Random-hafte Verteilung der Mäander an den Seiten und an einer Mittelachse

1.5.3 die Wahl der Gestaltung der Überlagerungsflächen beider Mäander
-dm 1 lang bis dm 3 lang: Überlagerungsflächen aus schwarzem und weißem Mäander sind grau („transparent“), grau wie die Grundfarbe
-dmk 1: zuerst der schwarze Mäander über dem weißen, ab der Mitte dann umgekehrt
-dmk 2: wie dmk 1
-dmk 3: wie dmk 1
-dmk 4: mal der eine über dem anderen, mal der andere über dem einen, im Wechsel
-dmk 5: die Überlagerungsflächen sind Leerstellen (weiß wie der Grund)
-dmk 6: die Überlagerungsflächen sind in einem Zwischenton der beiden Mäanderfarbtöne gehalten („transparent“).
-dmk 7: es gibt keine Überlagerungsflächen, sondern mittelbare Interaktion entlang einer Mittelachse, es bilden sich jedoch Doppelfreiflächen
entlang der Achse -dmk 8: ein mittlerer Mäander ist in grau auf dem schwarzen Mäander gelagert; der letztere geht bis an die Seiten; durch den weißen Grund erscheint der graue durchgehende Mäander fast wie eine Überlagerungsfläche aus schwarzem Mäander und weißem Grund.
-dmk 9: die Überlagerungsflächen sind in dem Mittelfarbton grau (zwischen den Mäanderfarbtönen schwarz und weiß)

1.5.4 die Wahl der Absentierungsart / Art der Redundanzreduktion aus der Ausgangsgestalt des Doppelmäanders
-dmk 1: links Zwischenmenge aus beiden Mäandern, rechts Gesamtfläche in grau mit schwarzen Flächen der Überlagerung beider Mäander
-dmk 2: der jeweils andere Mäander überdeckt den einen komplett und versinkt in einem zu ihm gleichfarbenen Grund
-dmk 3: nur vertikale Teilflächen des jeweiligen Mäanders werden „zitiert“
-dmk 4: ähnlich zu dmk 1, aber Zwischenmenge mit grauen Überlagerungsflächen und schwarze Gesamtfläche mit grauer Zwischenmenge
-dmk 5: nur horizontale Teilflächen des jeweiligen Mäanders werden „zitiert“
-dmk 6: nur die Breitenmaßlinien des jeweiligen Mäanders werden „zitiert“
-dmk 7: oben werden nur die horizontalen Flanken des Doppelmäanders „zitiert“, unten nur die Freiflächen entlang der Mittelachse
-dmk 8: der Ausgangsdoppelmäander wird in drei Schritten um jeweils 25% der Flächen reduziert
-dmk 9: der Ausgangsmäander wird in einem ersten Schritt um 33,3% der Teilflächen reduziert, dann in einem zweiten Schritt um weitere 33,3%, dann werden die ersten 33,3% wieder hinzugefügt, dann die zweiten 33,3% (=wieder 100%)

1.6 Zahlenreihe und Proportion
Jede Zahlenreihe hat spezifische Verhältnisse von Zahl zu vorangegangener Zahl. So ist das Verhältnis innerhalb der Fibonacci-Zahlenreihe im Verlauf immer annähernd mit dem Faktor 1,6 zu beschreiben (goldener Schnitt). In anderen Zahlenreihen wechselt der Faktor von Zahl zu Zahl, so sinkt er innerhalb der natürlichen Zahlenreihe von zwei (Verhältnis von 1 zu 2) auf z.B. 1,1 (Verhältnis von 9 zu 10). Hierbei handelt es sich also um veränderliche Proportionen.

1.7 Proportionale und über- wie unterproportionale Entwicklung: das Verhältnis vom kleinsten zum größten Element
Der Anstieg von 1, 2, 3 bis zu 10 ist proportional. Der Anstieg der Fibonacci-Zahlenreihe jedoch überproportional von 1 bis 55 (statt 10 für Stufe 10). Die Zahlenfolge (Wurzel aus x) hat jedoch nur 3,16 für Stufe 10 und ist also unterproportional. Das Verhältnis von kleinstem zu größtem Wert ist wichtig für die „Kleinteiligkeit“ des Werkes. In der Quadratzahlenfolge ist der maximale Wert das Hundertfache des kleinsten Wertes, so dass der „Dimensionsrahmen“ des Bildes viel weiter gestreckt ist. Dadurch erhält die letzte Teilfläche immer stärker linienartigen Charakter, so dass ein Spannungsverhältnis von „Linien“ zu Flächen entsteht.

1.8 Simultaneismus als Abschwächung des Gestaltcharakters und als Spurenhaftigkeit
In einem Doppelmäander sind zwei Mäander gleich“zeitig“ -durch den Flusscharakter des Mäanders könnte man von Zeit sprechen- in einer (Doppel-)Gestalt da. Es handelt sich also um einen „Simultaneismus“, oder eine Art Konvergenzerscheinung.

Der Simultaneismus ist eine Haupterscheinung der modernen Kunst; so gibt es im Kubismus das Nebeneinander verschiedener Ansichten eines Gegenstandes oder das Ineinander verschiedener Standbilder eines Bewegungsablaufes. In der Plastik eines Archipenkos greifen positive Masse und (Leer-)Raum ineinander. In den Wortspielen Duchamps greifen Haupt- und Nebenbedeutungen ineinander, seine Ready-Mades sind umkontextualisierte Alltagsgegenstände, die zwei Sphären (Museum und Alltagswelt) anzugehören scheinen. Diese Form der „Entwendung“ (R. Vaneigham) führt stets zu Doppelsphärigkeit. Textbilder sind Bild UND Text. Überhaupt ist die Art der modernen Kunstproduktion ein Herauslösen von Gegenständen aus unterschiedlichen wahrnehmungsbezogenen Kontexten und ihre Re-Kombination: eine schimmelnde Wurstscheibe als Sonne in einer Landschaft Diter Roths oder ein Morsezeichen-Gedicht von Timm Ullrichs usw..

Der Sinn des Simultaneismus liegt in der Auflösung von Wahrnehmungsgewohnheiten, namentlich ihrer typologischen und typologisierenden Wahrnehmungsgestalten, wobei der Begriff „Gestalt“ allgemein eine Kategoriebildung bezeichnet, also eine Kontextbildung oder eine Umrissbildung oder eine sonstige Grenzziehung.

Im vorliegenden Katalog gibt es Simultaneismus in Form der Doppelmäander, die somit quasi zeichenhafte Anschauungsformen des Simultaneismus werden: Ein Mäander ist in dem anderen und umgekehrt, beide formen einander. Dieses Flechtzopfartige verweist auf sehr alte Ornamentik (z.B. auf awarisch-onogurische Doppelfriese) und auf das, was Gottfried Semper als den Ursprung der Kunst im Textilen bezeichnet hat.

Der Simultaneismus führt zu einer Abschwächung des (sonst von Isolation geprägten) Gestaltcharakters. Gerade die Operation „a ist nicht b“ führt ja erst dazu, dass der Mensch sich orientieren kann. Hier jedoch ist „a in b und umgekehrt“. Es handelt sich beim Simultaneismus um eine Art „Entgrenzung“ der Wahrnehmung und somit durchaus um einen existentiellen und exemplarischen Akt.

2.0 Musik, Semiotik und konkrete Kunst
Bereits der Titel dmk (=Doppelmäander – Kontrapunkt) deutet eine Parallele zu der Kompositionstechnik der Fuge an, daher der Titel „Fugitive Interaktion von Form“: Die Zahlen (der Zahlenfolgen der beiden Mäander eines Doppelmäanders) sind kontrapunktisch, also gegeneinander gesetzt, es gibt eine Art „Polyphonie“, die sich unter anderem darin äußert, dass mal der eine und mal der andere Mäander über dem zweiten Mäander gelegen ist. Der eine Mäander „zählt“ vor-, der andere rückwärts in der Zahlenfolge; letzteres nennt man auch „Krebsgang“ in der Kunst der Fuge. Jede Teilfläche entspricht in ihrer Breite der jeweiligen Zahl der Zahlenfolge, in der anderen Dimension wird sie von dem anderen Mäander gebildet. Der musikalische Charakter spiegelt sich auch im Linearen des Mäanders an sich wieder. Andere Analogformen zur Musik finden sich in den Werken Henrik Neugeborens (Umsetzung eines Werkes von J.S. Bach in eine Skulptur, 20er Jahre) sowie in den Werken Camille Graesers der 40er Jahre.

Die Doppelmäander reichen in den Bereich der Semiotik hinein:
1) sie haben etwas Gestisches, etwas kontinuierlich Bewegtes; sie weisen Ähnlichkeit zu den Roll-Tuschezeichnungen Japans auf (v.a. die dm lang-Bilder); daher haben sie einen indexikalischen Teilcharakter
2) sie haben etwas Ikonisches, da sie analog zur Musik bzw. zur Zahlenfolge eine kontinuierliche Wellenform aufweisen (ohne Abbild zu sein)
3) sie werden symbolisch gedeutet werden als Anschauungsform für Interaktion, Interferenz o.ä., da die Mäanderform in der kulturell überlieferten Sprach-Konvention stets mit Bedeutungen konnotiert ist.

Durch diese „Dreifaltigkeit“ ergibt sich wieder ein Simultaneismus.

Am Ende des Kataloges befinden sich zwei Doppelspiralenbilder, die andeuten sollen, dass sich das Prinzip der Interaktion von Form auch in Doppelspiralen verwirklichen läßt. Die Doppelspiralen sind bei diesen zwei Bildern geordnet nach der Zahl der Stufe, eingeordnet in das magische Quadrat Dürers (4 auf 4 Felder, aus seiner Radierung „Melancholia“) bzw. in das magische Quadrat Lo-Shu aus dem japanischen Kulturraum (3 auf 3 Felder).